Die Wahrheit: Adler der rosigen Umsätze
Die Wahrheit-Berufsberatung nimmt die Heißluftbranche der prall aufgeblasenen Motivationsredner unter die Lupe.
Sie wollen mehr verdienen als Ihr Drogendealer, sind aber sogar für einen Job beim Fernsehen zu blöd? Werden Sie doch einfach Speaker oder gar Keynote-Speaker. Halten Sie Impulsvorträge über Motivation!
Als Speaker ist es Ihre Aufgabe, den Angestellten bei Firmenveranstaltungen auf den Sack gehen. Angst vor Ablehnung brauchen Sie nicht zu haben, denn alle müssen Sie gut finden. Wer nicht in Anwesenheit von Vorgesetzten mindestens einmal anmerkt, Ihr Vortrag sei „total inspirierend“ gewesen, wird nämlich sofort entlassen.
Der Chef hat schließlich „Geld in die Hand genommen“ und „am Ende des Tages“ Sie ausgewählt und eingeladen. Vergessen Sie das Gerede über flache Hierarchien! Sie sind mit der hiesigen Firmenkultur hinreichend vertraut, wenn Sie eine Staffel „Stromberg“ geguckt und danach eine Stunde lang das Treiben auf einem Pavianfelsen beobachtet haben.
Mit Rotwelsch und Hodenkrebs
Die Vorbereitung auf Ihren ersten Impulsvortrag können Sie in zwei Werktagen erledigen. Überlegen Sie sich ein halbes Dutzend Sprüche auf dem Niveau von „Gewinner sind Leute, die nicht verlieren“ und schreiben Sie ein paar Kalenderweisheiten wie „Lebe Deinen Traum“ ab.
Dazu erwerben Sie Vertriebs-Grundkenntnisse aus einem Gratiskurs im Internet und schaffen sich ein paar Brocken Manager-Rotwelsch drauf. Mit dieser Zusatzqualifikation können Sie schon bis zu 10.000 Euro am Tag verlangen – und müssen nicht mal eigene Stifte mitbringen. Neben „Headset“ und „Wasser ohne Kohlensäure“ schreiben Sie einfach „White-Board-Filzer“ in ihre Anforderungen.
Eine Ausbildung für Ihren neuen Job ist nicht nötig. Ein bisschen Schicksal in der Biografie (Hodenkrebs überlebt, Übergewicht gehabt, versehentlich richtigen Beruf gelernt) ist allerdings von Vorteil.
Wir wissen, es gibt weder Schicksal noch Probleme, sondern nur „dornige Chancen“, um den großen Liberalen Christian Lindner zu zitieren (als Redner zu buchen über premium-speakers.com, Preise auf Anfrage). Ihr beruflicher Erfolg zeigt den Versagern im Publikum, dass es allein an den faulen Minderleistern selber liegt, wenn sie nicht befördert werden oder immer die Gräte im Fischfilet finden.
Premium-Inhalte rülpsen
Mit dem richtigen „Mindset“ (dieses Wort auf jeden Fall einbauen!), das die Teilnehmer im Rahmen einer Dreißig-Grad-Gehirnwäsche mit Weichspüler bei den Veranstaltungen verpasst bekommen, werden aus dornigen Chancen „rosige Umsätze“ (diese Formulierung können Sie geschenkt haben).
Vorbilder gibt es zahlreiche: Detlef D. Soost etwa nimmt 12.500 Euro für einen Impulsvortrag – plus Fahrtkosten und Wasser ohne Kohlensäure. Denn von Wasser mit Kohlensäure muss man rülpsen, was sich ungünstig auf die Vermittlung von Premium-Inhalten auswirkt. Obwohl man Worte wie „Optimismus“ oder „Kernkompetenz“ sehr gut rülpsen könnte.
Für 12.500 Euro erklärt der Tänzer mit dem Körper einer Actionfigur, „wie Ziele und Visionen zum Motor des Erfolgs werden“, oder überrascht sein Publikum mit der Erkenntnis „Einstellung schlägt Talent – Erfolg entsteht im Kopf“. Wer doof ist, muss also fleißig sein.
Zweifelhafte Vögel
Machen Sie jetzt nicht den Fehler zu denken, bei diesen Tagessätzen würde es reichen, vier Tage im Jahr zu arbeiten. So ein Faulpelz ist ein schlechtes Vorbild und wird nicht gebucht.
Im oberen Preissegment treibt sich auch Erlebnis-Entrepreneur Jochen Schweizer herum, von dem Sie folgendes Geheimwissen erwerben können: „Man muss sich ernsthaft anstrengen, um ein Ziel zu erreichen“. Vertriebsprofi Ardeschyr Hagmaier dagegen stellt die lebensentscheidende Frage: „Sind Sie Adler oder Ente?“ Die richtige Antwort für ihn heißt Adler, obwohl Enten sehr sympathische Tiere sind: Sie essen alles und verfügen über ein umfangreiches Balz-Repertoire. Adler dagegen sind eher zweifelhafte Rolemodels, die jahrelang Hakenkreuze mit den Füßen festgehalten haben, ohne sich nur einmal zu beschweren.
Gurus ohne Sex-Geschwurbel
Speaker sind im Grunde Prediger, die den Glauben an den Kapitalismus stärken. Je teurer die Speaker, desto weniger konkret ihre Inhalte. Bis 2.000 Euro kriegen Sie vielleicht noch einen alten Praktiker, einen dieser „leidenschaftlichen Vertriebler“, die man dafür bewundert, dass sie einem Inuit einen Kühlschrank verkaufen könnten. Mit Eiswürfelfunktion und einer ganz miesen Energieeffizienzklasse. Spätestens ab 10.000 Euro geht es dann nur noch um kollektive religiöse Verzückung, die alle im Saal eines Kongresshotels zusammengetriebenen Angestellten zu erfassen hat.
Die Zutaten eines gelungenen Götzendienstes sind wabernde Wirtschaftsesoterik, mittelmäßige Mantras, Gaga-Gleichnisse und ein paar Atemübungen zur Selbstoptimierung. Wie bei den Baghwan-Jüngern, nur ohne Sex-Geschwurbel. Nicht umsonst heißen die Stars unter den Head-Set-Heiopeis „Motivationsgurus“.
Machen Sie sich jetzt auf den Weg zum Erfolg! Schon der große Visionär Henry Ford hat immer gesagt: „Morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle faulen Leute.“ Und zwar zu seinen Angestellten. Erfolgreiche Menschen, das haben Studien gezeigt, schlafen wenig und stehen zu einer sehr frühen Uhrzeit auf. Zum Beispiel um 4.30 Uhr. Erfolgreiche Menschen haben ein Morgenritual. Sport, Yoga, Manager-Magazin auswendig lernen, irgendwas Gesundes, aber Ekliges trinken (onanieren gilt nicht).
Innere Entenfüße nutzen
Denken Sie positiv! Nun werden Sie einwenden: „Wenn man weiß, dass man am Tag mit ungefähr einer Stunde ‚Arbeit‘ über zehn Mille abzocken wird, ist es ja einfach, optimistisch in die Zukunft zu blicken“. Ich höre Neid, ich höre Missgunst, ich spüre negative Schwingungen. Genau so denken Verlierer!
Ich teile Ihnen eine unbequeme Wahrheit mit: Genau deshalb sind Sie immer noch der kleine Penner aus der Debitorenbuchhaltung! Bedenken Sie: Detlef D. Soost, Jochen Schweizer und ich waren nicht immer diese schwerreichen Lichtgestalten, die wir heute sind. Wir haben es wegen unserer sehr guten Einstellung mit harter Arbeit gegen alle Widerstände geschafft.
Denken Sie immer an die Geschichte vom Adler und der Ente: „Ich sehe bis zum Horizont“, sagt der Adler, „Ente, du musst echt auch mal ‚Out-of-the-Teich‘ denken!“ – „Halt den Schnabel, Nazi-Vogel“, spricht die Ente, „ich bin am Balzen dran. Du laberst echt nur Quaak!“ Was will ich damit sagen? Wasser ist zäher als Luft. Deshalb ist die Ente zäher als der Adler. Wenn Ihre inneren Entenfüße den Wasserwiderstand nutzen, werden Sie vorankommen. Werden Sie Speaker!
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