Die Wahrheit: Vom Fasten und Brechen
Nach dem Karneval beginnt die Entsagung. Aber auf welches Laster kann der anspruchsvolle Büßer verzichten, ohne ins Klischee zu verfallen?
V eilchendienstag. Die fünfte Jahreszeit liegt in den letzten Zügen. Morgen verendet sie endgültig. Sie, liebe Wahrheit-Leser, scheinen davon aber recht unbeeindruckt zu sein.
Danke dafür, dass Sie die Augen offen halten. Danke dafür, dass wenigstens Sie diesen Text lesen. Damit konnte ich nicht unbedingt rechnen. Ich habe nämlich in den vergangenen Wochen mit sehr vielen Intervall-Gläubigen gesprochen, die von Karnevalsende bis zum Sonntag nach dem ersten Frühlingsmond, bis zum Osterfest also, auf alles mögliche, sogar aufs Tageszeitung lesen verzichten, weil sie geschlagene sieben Wochen lang auf Teufel komm raus fasten.
Wenn in biblischer Zeit Menschen als Zeichen ihrer Schuld fasteten, dann wollten sie zeigen, dass sie sich gegenüber Gott bewusst zurücknahmen und ihr Leben wieder in Ordnung bringen wollten. Ein spiritueller Frühjahrsputz also, von manchen deswegen auch heute noch Büßen oder Leiden genannt. Aber ganz gleich, wie sie es nennen, es geht in jedem Fall darum, dem inneren Schweinehund mal eine Zeitlang zu zeigen, wer denn im eigenen Saustall der Hausmeister ist.
Dazu sollte man erst einmal eine innere Inspektion beziehungsweise Inventur machen, damit man einigermaßen darüber Bescheid weiß, wie es in einem selbst so aussieht. Die Inneneinrichtung ist ja bei jedem anders, genau wie der Grad der Verwahrlosung.
Beim einen sieht es in der Leber aus wie bei Hempels unterm Sofa, beim anderen müssen die Herzkranzgefäße mal dringend gekärchert werden, und der nächste Bußfertige hat sich vielleicht in den Kopf geguckt und festgestellt, dass übermäßiger Wirklichkeitsverbrauch (abusus realitatis) ursächlich dafür verantwortlich ist, dass sich irgendwo zwischen Frontallappen und Stammhirn zu viel Nachrichtenschrott angesammelt hat. Aus diesen Gründen sind ja auch die Dinge, auf die die Menschen in der Fastenzeit verzichten, so unterschiedlich.
Manche Entsager sind total fantasielos, machen es sich ganz einfach, lassen einfach alles weg, wo möglicherweise Gift drin ist: Bier, Tabak, Kondome, Gehacktes, RTL2, Thüringen-News-Ticker, Südtribüne, Trump-Tweets, Steuererklärung. Es soll sogar Biathleten geben, die während der Weltmeisterschaften komplett auf die Einnahme leistungssteigernder Substanzen verzichten, wenn die Welt-Anti-Doping-Agentur im Gegenzug auf die Öffnung von A- und B-Proben verzichtet.
Ein Wort noch zu den Menschen, die es sich nicht so einfach machen mit dem Fasten und die Passionszeit als reinigende Buße betrachten. Solche Hard-Core-Fastenden findet man vor allem im Rheinland. Mit hochwertigem Premium-Humor gemästete Menschen, die spätestens ab morgen konsequent darauf verzichten, Karneval zu feiern.
Respekt und Kappe ab! Ich wünsche viel Spaß, wenn es beim fröhlichen Fastenbrechen zu Ostern wieder heißt: Helau und Alaaf!
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