Die Wahrheit: Eine Beziehung, zwei Systeme
Die Ablagemethodik für Steuerdinge als Anlass für einen Streit? Das war neu für das Paar, aber eröffnete beiden faszinierende Kriegsschauplätze.
N eulich hatten meine Freundin und ich einen Streit, wer über die bessere Schriftgutverwaltung verfüge. Vermutlich wollten wir uns einfach mal wieder streiten, hatten aber alle interessanten Themen schon durch. Meine Freundin hat ein Ablagesystem, bei dem sie jedes Papierchen, das wichtig sein könnte, mit einem Magneten an ihre Kühlschranktür heftet. Mein Ablagesystem kommt ohne Magneten aus, weil es, die Schwerkraft klug ausnutzend, horizontal auf meinem Sofa basiert.
Dort liegen in fluider Ordnung und assoziativer Systematik Rechnungen, Quittungen, Fahrkarten und Kontoauszüge sowie ein Meisenknödel. Was der Meisenknödel da soll, weiß ich nicht, die Papiere liegen da, weil ich unter Abheftschwäche leide, die ich nur am schlimmen Steuertag überwinden kann.
An diesem Tag loche ich alles, was sich auf dem Sofa angesammelt hat und hefte das Zeug inklusive Meisenknödel in einen Ordner mit niedlichen Katzenmotiven, weil eben diese die Sachbearbeiter des Finanzamts in versöhnliche Stimmung versetzen. Die werden sie auch brauchen, wenn sie entdecken, dass ich wieder versuche, meinen Locher als Sportgerät von der Steuer abzusetzen. Damit sie mich für leicht beschränkt halten, arbeite ich im Anschreiben mit Wachsmalstiften.
Im Gegensatz zur vertikalen Kühlschrankablage ist es ein fantastisches System. Man kann zwar im Wohnzimmer nicht lüften und hat kein Sofa mehr, aber niemand muss verhungern. Der Kühlschrank meiner Freundin taugt dagegen kaum noch zur Nahrungsmittelversorgung, vielmehr hat er sich zu einer biografischen Installation ausgewachsen, zu einem Zettelkasten Schmidt’schen Ausmaßes, in dem fingerdicke Papier-Konvolute von winzigen Marienkäfermagneten in prekärer Ordnung gehalten werden. Ich brauche das Ding nur anzuschauen und schon segeln erste Zettelchen zu Boden, worauf ein Zahnarzttermin oder ein politisch sensibler Geburtstag verschwitzt wird und der Haussegen so schief hängt wie jener Brief an die Krankenkasse, der über einer Sammlung Kinderbilder pappt, deren Zeichner die Volljährigkeit längst erreicht haben dürften.
Das aber wollte meine Freundin nicht einsehen. „Geht doch prima!“, sprach sie und klappte den Kühlschrank mehrfach auf zu, ohne dass ein einziges Blättchen fiel. Im Kampf der Systeme wagte ich das Äußerste. Ich zog selbst am Türgriff. Erst einmal tat sich gar nichts und meine Freundin triumphierte. Dann aber löste sich mit sattem Schmatzen die Gummidichtung. Vom Rückstoß befeuert, klackerten sämtliche Magneten zu Boden und die Blätter fielen, denn es war unversehens Herbst geworden.
Als Vergeltung exekutierte meine Freundin ein völlig neues Ablagesystem an meinen Papieren. Es basierte auf einer chemischen Oxidationsreaktion mit Flammenerscheinung. Der schlimme Steuertag fällt in diesem Jahr also aus, ich bin sicher, das Finanzamt hat Verständnis.
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