Die Wahrheit: Schnappschildkröte am See

Was versprechen uns nicht alles die sommerlichen Bilder der Bierwerbung, in der junge Menschen an Stränden herumlümmeln. Nichts davon ist wahr …

Der Sommer am See sieht in den Bierwerbespots immer so reizend aus, dass ich mich nun selbst an ein solches Gewässer gelegt habe. In der Werbung saufen sie stets sichtlich schmackhafte Kaltgetränke. Hippe, junge Leute springen aus der Schwüle ins Kühle, laben sich am Sonnenlicht und geben sich dem Dolcefarniente hin. Dazu läuft lässiges Pop-Gedudel, das so locker und inhaltsleicht daherkommt, dass der gesamte Ausflug den gecasteten Zufriedenheitsdarstellern ein innerer FDP-Parteitag zu sein scheint – und zwar im positiven Sinne.

Meine Umgebung hier sieht allerdings anders aus. Keinerlei coole Klänge sind vernehmbar. Die Bluetoothbox des in Grün bebadehosten Handtuchnachbarn, einem Dreizehnjährigen Vokuhilisten, dessen Goldkette ihm das Fluidum eines Pornodarsteller aus den achtziger Jahren verleiht, flippert den Song „Dos Bros“ von „The BossHoss“ auf Dauerschleife durch die ­Gegend: „Don’t ever think you’re the first one who did it! Dos Bros, Dos Bros did it!“ Hä? Did what?! Es bleibt mir auch nach der siebten Wiederholung ein Rätsel.

In der Bierwerbung tauchen Handtuchnachbarn ja auch gar nicht auf. Aber solchen Clips geht es ja auch nicht um dreizehnjährige Pornodarsteller, sondern um Bier. Messen wir sie also daran. Die Wärme des Biers, das mich in meiner Television heimsuchte und folglich auch am Kiosk geordert wurde, nimmt bereits nach zwei Schlucken die Schwelle zur Ungenießbarkeit. Es schmeckt hier nicht halb so gut wie in einer ranzigen Siffkneipe, außerdem muss man es im Liegen trinken, sprich dabei auf seinen eigenen baren Fettbauch schauen. Man sieht also, wo das Bier hinströmt. Wem soll das Spaß machen?

Ein frisch entfachter Sonnenbrand frisst mir derweil die Gesichtshaut weg. Der Dreizehnjährige ist besoffen eingepennt. Und wo ist mein Portemonnaie? Während ich danach wühle, nutzt eine Schnappschildkröte meine Unachtsamkeit, schleicht sich an und reißt mir den Zeh ab. Fuck off, du von Gott gehasstes und mit Hässlichkeit bestraftes Ungeheuer! Ich schleudere die Schnappschildkröte durch eine gewaltige Kraftanstrengung meines Restzehs zurück, sie platscht bäuchlings ins Wasser. Die umstehenden Kinder applaudieren, bis sie von ihrer entsetzten Mutter weggezerrt werden.

Zur Schmerzbetäubung erwäge ich, noch ein zweites und drittes Bier nachzuschütten, stelle aber fest, weder Flaschenöffner noch Feuerzeug eingepackt zu haben, die vonnöten wären, um den Sixpack in der mitgeschleppten Kühltasche zu knacken – das erste Bier hatte ja noch der Kioskbetreiber geöffnet. Unnötig zu erwähnen, dass die Kühltasche in ihrer Hauptfunktion, der des Kühlens, versagt hat.

Justament als ich fluchend meine Sachen zu packen gedenke, produzieren meine Synapsen den rettenden Gedanken: Liebe schöne Schnappschildkröte, komm bitte noch mal mit deinem wohlgeformten, kräftigen Kiefer vorbei.

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Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.

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kari

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