Die Wahrheit: „Eigentum muss sexy sein!“
Das Wahrheit-Interview: Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner fordert statt Enteignungen den koketten Staat, der seine Reize auszuspielen weiß.
In deutschen Großstädten fehlt es an Wohnungen, die Quadratmeterpreise steigen und steigen. Manche denken bereits über die Enteignung von Wohnungsgesellschaften nach. Ist der Kapitalismus am Ende? Wie wohnen wir morgen und braucht man dazu noch die Liberalen? FDP-Haus- und -Hofmeister Christian Lindner steht Rede und Antwort.
taz: Herr Lindner, Sie sprechen sich vehement gegen die Idee der Enteignung aus, mit der die Grünen gerade sympathisieren.
Christian Lindner: Allerdings. Mit Stasi-Methoden schafft man keinen Wohnraum, höchstens Mauern. Und bei Mauern fehlt noch mindestens ein Dach zum fertigen Haus. Ganz zu schweigen von Wasser, Strom, W-LAN und einer Sitzgelegenheit. Sie sehen also, das Ganze ist schon baulich nicht zu Ende gedacht.
Aha.
Ja, vor allem aber man macht man sich mit so einer Rhetorik rasend unattraktiv für künftige Geldgeber aus dem Immobiliensektor, da muss man dagegenhalten. Wenn das manische Profitstreben, das unsere Wirtschaft anbumst, verschwindet, verschwindet auch die FDP … – streichen Sie das, schreiben Sie lieber: Freiheit. Dann verschwindet die Freiheit.
Was ist also Ihr Vorschlag?
Wir brauchen einen koketten Staat, der seine Reize auszuspielen weiß. Wir müssen die Investoren bezirzen und mit einem lasziven Augenaufschlag, der Fruchtbarkeit und Rendite verspricht, um den kleinen Finger wickeln. Eigentum muss sexy sein!
Wie gewinnt man aber denn nun konkret Wohnraum, wenn der Platz knapp wird? Die Menschen finden ja schon jetzt kein Dach mehr über dem Kopf.
Das ist doch bloß Propaganda. Wir haben im Städtebau noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Wie viele Dachböden stehen leer und ließen sich mit ein wenig gutem Willen in rustikal-charmante Schlafstätten für Lowperformer verwandeln? Wie viele Garagen hätten das Potenzial, als Studentenappartement vermietet zu werden? Schläft man etwa schlechter, nur weil ein Range Rover und ein offener Benzinkanister im Zimmer stehen? Wird der Platz, den die Abwasserrohre der Kanalisation unter unseren Städten bieten, bereits optimal als Wohnraum genutzt? Und wem gehört das alles überhaupt?
Keine Ahnung, aber …
Ihre Antwort interessiert mich gar nicht, ich habe nämlich meine eigenen Antworten: Es sind die juristischen Fesseln der aktuellen Gesetzgebung, die Eigentümer von wichtigen Innovationen auf dem Immobilienmarkt abhalten. Hier liegt der Hebel für eine Zukunft, in der auch die Eigentümer noch etwas vom Wohnen haben.
Was sagen Sie denen, die kein Eigentum besitzen?
Denen rate ich, sich schleunigst welches zuzulegen. Das hat nur Vorteile, und es lebt sich bedeutend besser. Vor allem wegen der Mieteinnahmen.
Taugt die bloße Anhäufung von Privatbesitz denn wirklich als zukunftsfähiges Modell für eine ganze Gesellschaft?
Es ist jedenfalls das einzige Modell, das wir als FDP haben. Das ist unser Schlüsselkonzept, das sich auch auf alle anderen Bereiche übertragen lässt. Wir vertrauen auf das, was am Ende herauskommt, wenn man Millionäre einfach mal in Ruhe machen lässt. Das nennt man Pioniergeist. Daraus sind schon tolle Sachen entstanden.
Zum Beispiel?
Vieles. Sehr vieles. Wirklich einiges. Jedenfalls manches …
Ihnen fällt kein Beispiel ein, stimmt ’s ?
Weil wir in einem sehr innovationsfeindlichen Klima leben. In Deutschland werden Erfindergeist und Kreativität schon im Keim erstickt.
Apropos Klima, was haben Sie denn da im Programm? Wie will die FDP dem Klimawandel begegnen?
Mit Verboten kommen wir jedenfalls nicht weiter, das steht doch fest. Ich will Vergnügen statt Verbote. Statt das Fliegen zu besteuern, will ich Flugzeuge aus Wasserstoff.
Sie meinen, angetrieben von Wasserstoff.
Das sind Details für die Ingenieure, die ja auch wichtig sind. Wie Bäcker, Polizistinnen, Feuerwehrleute oder Klempner. Allesamt tolle Menschen. Ich bin nur der Impulsgeber, ein Mensch der Ideen, ein Träumer. Ich will sagen: Geil, so machen wir’s! Dann muss es noch jemanden geben, der das macht, und jemanden, der bezahlt. Vor allem mich.
Herr Lindner, vielen Dank für das Gespräch.
Nichts zu danken. Rechnung folgt umgehend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles