Die Wahrheit: Fasten mit drei F
Tagebuch einer Normala: An einer kleinen Hör- und Verstehschwäche zu leiden, kann Wirrungen über Ernährungsideologien nach sich ziehen.
A ls ich kurz vor Ostern im Café meines Vertrauens einen Latte bestellte, guckte die Barista mich prüfend an, bevor sie fragte: „Wie’n normaler Mensch?“
Erfreut fühlte ich mich als unkomplizierte Kundin mit unprätentiösem Normalogeschmack erkannt und nickte bestätigend, denn vor einer gefühlten Ewigkeit war Latte Macchiato zwar mal der letzte Schrei, inzwischen ist er längst die Currywurst unter den Kaffeemixturen. Die Barista hatte aber „Mit normaler Milch?“ gefragt, was ein tiefschürfendes Gespräch über meine Hör- und Verstehschwäche und über die Wirrungen der Ernährungsideologien nach sich zog. Dabei erfuhr ich von der mir bisher unbekannten Essstörung Orthorexie, bei der Menschen sich zwanghaft gesund ernähren.
Das heutige Essverhalten ist in der Zeit um Ostern aber auch so schon verwirrend genug, mittlerweile kasteien sich ja nicht nur Katholiken, an deren vorösterlichem Gedarbe ich in meiner Kindheit noch ausgebufft vorbeimampfte. Fasten ist schwer angesagt, wer auf sich hält, nimmt es in puncto „Wer schafft am wenigsten?“ mit sämtlichen Weltreligionen gleichzeitig auf. Spätestens nach Aschermittwoch verwandelt sich die Welt in eine Fastenhölle, Food-Influencer propagieren den heißesten Scheiß von der Entsagungsfront. Ayurveda ist so 2000er!
Anhänger der Farbenlehre ernähren sich montags ausschließlich von rotem Zeug wie Radieschensorbet, Kirschgrütze und Rote Bete; dienstags regiert grün mit Kopfsalat-Smoothie, Almwiesengrassuppe und Brokkolieis, mittwochs Gelbliches vom Sellerie und so weiter. Ärzte berichten von Massenpaniken der Farbfastenden als Reaktion auf die Regenbogenfärbung ihrer Ausscheidungen, aber keine Sorge, Leute, das Internet ist voll mit wertvollen Informationen zum Thema „Stuhlgang – immer noch ein Tabuthema“, anschaulich bebildert von der „Bristol-Stuhlformen-Skala“ nach Kenneth Heaton und S. J. Lewis, zwei Wissenschaftlern, die zum Segen der fastenden Menschheit Fäkalien nach den drei großen F, nämlich nach Farbe, Form und Feuchtigkeit geordnet haben.
Während die Barista und ich noch plauderten, klagte eine Endzwanzigerin beim Hafermilch-Soja-Trunk ihrer Freundin, dass sie jemandem zwei Pfund Kaffee mitbringen solle: „Echt jetzt, wer sagt denn heute noch Pfund?“ – „Leute über fünfzig. Meine Oma regt sich immer total auf, wenn die Frau an der Käsetheke sie nicht versteht.“
Honey, ich bin deine Oma! Nicht nur habe ich in meinem Leben im Alleingang die CO2-Bilanz versaut, ich blockiere auch hartnäckig Maßeinheitsänderungsversuche nachdrängender Generationen. Für Menschen wie mich wurde übrigens von einem Freund das „Express-Fasten nach C. Schlemmer“ – der heißt wirklich so – erfunden. Für die letzten drei Tage vor Ostern beschloss er, zum Frühstück nur noch eins von üblicherweise zwei Leberwurstbroten zu essen. Nehmt das, Fastengurus!
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