Die Wahrheit: Aufstand der Anständigen
Auch wertorientierte junge Leute wollen protestieren. In München geht eine Jugendbewegung in Rüschen „für Disziplin“ auf die Straße.
Viele Jahre lang galt die deutsche Jugend als schläfrig, angepasst und brav. Besonders Altachtundsechziger klagten gerne nach dem vierten Rosé: Wir haben für unser Eigenheim immerhin noch unsere Ideale verraten, die Jugend von heute hat nicht einmal mehr welche!
Doch der freitägliche Klimastreik, der zurzeit Schüler im ganzen Land auf die Straße treibt, beweist, dass in der kommenden Generation sehr wohl Feuer steckt. Da möchte auch der konservative Teil der Jugend nicht passen. Auch wertorientierte junge Menschen rufen immer lauter nach Gehör.
Unter dem provokanten Namen „Aufstand für Disziplin“ hat sich inzwischen eine Jugendbewegung von rechts formiert. Wer die Initiatoren kennenlernen will, der wird nach München eingeladen. Die Graswurzelaktivisten residieren in einer Büroetage im Glockenbachviertel, das als Szenebezirk der Stadt bekannt ist, seit hier vor vierzehn Jahren an einer Hauswand für zwanzig Minuten das erste und bislang einzige Graffito Münchens zu sehen war.
Herzlich wird der Besucher von den beiden Sprechern der Initiative begrüßt. Theresa (15) trägt eine neckische Rüschenbluse, Leopold (31) nur ein T-Shirt unter dem Jackett. Sofort wird klar: Hier ist konservativ keineswegs gleichbedeutend mit verstaubt und gestrig.
Lieber Mann im trauten Heim
„Ich habe schon immer den Funken des Aufruhrs in mir gespürt“, erzählt Leopold, nachdem er seine Kameradin zum Kaffeekochen geschickt hat. „Schon als Kind habe ich meinen Eltern immer wieder Kontra gegeben. Sie aufgefordert, mich früher ins Bett zu schicken zum Beispiel. Schließlich hängt der Lernerfolg ganz entschieden davon ab, dass man im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlafen ist. Einmal hat mir mein Vater bei einer Familienfeier einen Schluck Bier angeboten. Ich habe ihn regelrecht zusammengebrüllt! Ich war ja noch nicht einmal 21! Meine Mutter musste ich immer eher in ihrer Fürsorge bremsen. Ständig hat sie Töchter ihrer Freundinnen zu uns eingeladen, um mich zu verkuppeln. Dabei habe ich ihr mehrfach klipp und klar erklärt, warum ich mich bis zur Ehe aufheben möchte.“
„Das Schlimmste, was uns Jugendlichen angetan wird, ist doch, dass man uns keine Grenzen mehr setzt“, sagt Theresa, die inzwischen mit selbst gebackenem Pflaumenkuchen aus der Küche zurückgekehrt ist. „Mich interessiert vor allem die Familienpolitik. Jungen Frauen wird heute überall eingeredet, sie müssten unbedingt Abitur machen und später arbeiten gehen. Dabei träumen viele Mädel ganz wie ich bloß davon, einem lieben Mann ein sauberes und trautes Heim zu schaffen.“ Leopold nickt zu den Worten seiner Gefährtin: „Und ihr Mädels braucht keine linksgrünen Schlaumeier, die euch sagen, was ihr zu denken habt, nicht wahr, Kleine?“ – „Ganz genau, Leopold, du sagst es.“
Von Kubitschek gemolken
Nun wendet sich das Gespräch ins Grundsätzliche. „Wir möchten erreichen, dass die Kids sich sagen: Es ist einfach cool, sich für das Vaterland einzusetzen!“, erklärt Leopold. „Patriotismus, der unseren Wohlstand sichert – das ist doch eine echt fette Devise! Der Sieg im globalen Wettbewerb kommt jedenfalls nicht von allein. Wir brauchen Ordnung, Fleiß, Gehorsam – die berühmten Primärtugenden eben, für die Deutschland früher immer stand. Deswegen haben wir als erste Aktion die Schüler in Deutschland dazu aufgerufen, für die Wiedereinführung des Samstagsunterrichts zu demonstrieren. Letzte Woche habe ich mich mit Theresa das ganze Wochenende demonstrativ vor die Eingangstür ihrer Schule gesetzt und Algebra mit ihr geübt!“
„Aber denken Sie bitte nicht, wir wären Spießer!“, bricht es aus Theresa heraus. „Wir haben auch verrückte Ideen und Träume! Letztens träumte ich zum Beispiel mal, ich wäre plötzlich verwandelt in eine Ziege und würde von Götz Kubitschek gemolken.“ – „Ja, und ich war schon mal bei einem Konzert der Rolling Stones! Das hat wirklich derbe gerockt, vorm letzten Lied habe ich sogar mal die Ohrstöpsel rausgenommen.“
Amthor in Jerusalem
Kurz sprachlos sind die beiden, wenn man sie auf das große Porträtfoto des CDU-Shootingstars Philipp Amthor anspricht, das die Wand ihres Quartiers schmückt. Theresas Gesicht färbt sich feuerrot und auch Leopolds Augen fangen an zu glänzen. „Der Philipp ist einfach ein riesengroßes Vorbild für uns“, bekennt der junge Mann schließlich.
„Halten Sie mich für irre, aber ich glaube, der wird uns mal als Kanzler aus diesem ganzen Chaos führen. Letztens habe ich gelesen, schon ein Viertel der jungen Deutschen wünscht sich einen starken Führer, der unangefochten durchregiert. Ich denke, der Trend wird noch mehr in diese Richtung gehen. Und da setzen wir definitiv aufs richtige Pferd.“ – „Sagen wir lieber: auf den richtigen Esel!“, ruft Theresa begeistert. „Wir sind schließlich entschiedene Christen. Und unser Retter soll einziehen wie Jesus in Jerusalem!“
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