Die Wahrheit: Wein trinken mit intelligenter Knete
Der französische Weinhändler in der Markthalle geizt nicht mit Probegläschen. Nur bei einer Gangschleicherin verkorkt er rapido alle offenen Flaschen.
R otwein vertrage ich nicht mehr. Roséwein dagegen bekommt mir. Was okay ist: Wenn beispielsweise der Blaue Zweigelt meine Lieblingsrebsorte wäre, dürfte ich sie aufgrund ihres Namensgebers, des Entomologen und strammen Nazis Fritz Zweigelt, eh nicht mehr trinken. Aber dieser Römer ging an mir vorüber.
Solange nicht Frankreichs Rosé-Winzern eine Beteiligung an Naziverbrechen nachgewiesen wird, muss man also nicht nüchtern sterben. Schon gar nicht, wenn man sich auf Champagner verlegt: Die französische Schaumweinriege gehörte zu den härtesten Nazigegnern. Man mauerte damals Tausende von Flaschen ein oder versteckte sie in unterirdischen Geheimgängen, damit les boches sie nicht stehlen und der menschen- und traubenverachtenden Führerzunge aussetzen konnten.
All diese Trink-Dönekens lauschte ich dem gegenüber Touristen nicht mit Probiergläschen geizenden französischen Weinhändler ab, während er den Gästen in unserer Markthalle vom politisch korrektem Merlot nachschenkte. Ich stand am benachbarten Spielzeugstand und tat so, als sei ich mit der „Intelligenten Knete“ beschäftigt, die es dort gibt. Und die anscheinend schlauer ist als ich, denn ich kapierte einfach nicht, was diese Knete von der dummen Knete unterscheidet, mit der ich mich durch die Kindheit knetete: Kann sie lesen und schreiben? Gründet sie Start-ups? Weiß sie, wie man ohne Geld durch die Welt kommt?
Probehalber erstand ich eine Dose und schlenderte, das Auge auf die offenen Testflaschen gerichtet, hinüber zum parlierenden Weinhändler, der gerade einen teuren Rotwein in Seidenpapier einschlug. Er beachtete meinen sehnsüchtigen Blick nicht. Denn er fühlte sicher, dass ich zu den ärmlichen Kiezbewohnern gehöre, die Weine in rauen Mengen testen, sich dann mit schwerer Zunge bedanken und mit fest verschlossenem Portemonnaie heim eiern.
Auf der anderen Seite des Weinstands befindet sich ein kleiner Laden für Haustierbedarf, der stinkt. Um im Blickfeld des Weinhändlers zu bleiben, zwang ich mich jedoch, an einem Drehgestell mit nach Sexspielzeug aussehenden Hundegummiknochen herumzufingern. Nach ein paar Anstandssekunden drückte ich mich zurück in Richtung Weinstand. Der Händler verkorkte schnell die beiden offenen Flaschen und ließ sie aus meinem Sichtfeld verschwinden.
„Kann ich einen Champagner probieren?“, begann ich das Gespräch. Er schnaubte nur. „’Abe iesch niescht kalt.“ – „Und etwas anderes?“, fragte ich. „Non“, sagte er, „iesch ’abe keine Gläser mehr.“
Da wirkte endlich die intelligente Knete. Geistesgegenwärtig pulte ich sie aus der Tasche, formte daraus einen To-go-Becher und stellte ihn auf den Tresen. Der Weinhändler wusste, dass er verloren hatte. „Weiß odör rot?“, seufzte er. „Rotwein vertrage ich nicht“, sagte ich. „Aber machen Sie mir doch bitte eine Schorle aus beidem.“ Wie gesagt, Roséwein bekommt mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!