Die Wahrheit: Im Kampf mit dem Papier gefallen
„Wir verwalten uns zu Tode“: Die Bundeswehr leidet unter dem von ihr herangezüchteten Bürokratiemonster wie ein getretener Schweinehund.
„Ich würde gern berichten, es ist Frühling. Aber die Wahrheit ist: Es ist immer noch Winter.“
Das klingt furchterregend, aber sagen Sie hinterher bitte nicht, man hätte es Ihnen vorher nicht weitergesagt. Der erschütternde Wetterbericht stammt nämlich vom Wehrbeauftragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD). Und das ist nur die bittere Zusammenfassung seines am vergangenen Dienstag veröffentlichten Jahresberichtes über den erbarmungswürdigen Zustand unserer Streitkräfte.
Fassungslos sitzt unsereiner mit dem warmen Arsch in der zentralgeheizten Etappe und fragt sich, ob es etwa schon wieder so weit ist, dass eine deutsche Armee irgendwo da draußen nicht durch den Winter kommt.
Der Wehrbeauftragte spricht Klartext. Es mangele an allem: Pullover, Overalls, Ganzjahresjacken. Selbst Schirmmützen für Offiziere sollen erst wieder im vierten Quartal 2019 ausgegeben werden.
Die Angehörigen der Luftwaffe könnten sich selbst nicht wiedererkennen, weil sie bunt durcheinandergewürfelte Fliegerkombis tragen müssten. Die neuen Anziehsachen werden nicht geliefert, deswegen müssen unsere Top-Gun-Piloten in den mit Flicken übersäten alten Klamotten in ihren ungeheizten Cockpits darauf warten, dass das frostbeulenübersäte Bodenpersonal einen an der Billig-Tanke geschnorrten Fünf-Liter-Kanister Winterkerosin vorbeibringt.
„Ganz schlimm Rücken“
Auch das in geschlossenen Räumen arbeitende Personal leidet ganz fürchterlich unter der Mangelwirtschaft. So hätten vierzig Prozent der Mitarbeiter im „Kommando Strategische Aufklärung“, die ihre Arbeit fast nur sitzend ausüben, „ganz schlimm Rücken“. Ursache: Veraltete Bürostühle, die vermutlich schon von den Kameraden der Rechtsvorgängerarmee durchgefurzt wurden.
Und wenn man dann noch lesen muss, dass es der Marine nicht nur an tauchfähigen U-Booten, sondern sogar an Unterhemden fehlt, „die nicht so schnell reißen“, will es einen schier in Stücke reißen.
Der Wehrbeauftragte sagt: Am Geld liegt’s nicht. Wohl wahr. Von gut vierzig Milliarden Euro Wehretat sollte man doch wohl eine halbwegs ausreichende Fuhre reiß-, winter- und sogar schussfester Leibchen auftreiben können.
Das eigentliche Problem sei das „Bürokratiemonster Bundeswehr“. Zu viele Vorschriften, nicht einsatzbereites Gerät, zu langsame Beschaffung, nervenaufreibender Formularkrieg. „Einfaches wird verkompliziert, Bewährtes verschlimmbessert, ineffizienter Personaleinsatz, unnötige Arbeitsaufträge oder sinnlose Arbeitsschritte.“
Die Soldaten klagen: „Wir verwalten uns zu Tode.“ Kann man das überhaupt? Sich zu Tode verwalten? Und wenn, wie schreibt man es dann auf die Denkmäler, um zwischen Eichenlaub und Eisernem Kreuz den heroischen Einsatz für das Vaterland angemessen zu würdigen? Vielleicht so: „Unseren Helden. Gefallen im ungleichen Kampf gegen die ausufernde Papierflut. Ehre ihrem ewigen Andenken.“
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