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Die WahrheitKartoffelsäcke für Männer

Joachim Schulz
Kolumne
von Joachim Schulz

Der Terror aus den Achtzigern kehrt zurück: Wir sagen nur, zwei links, zwei rechts, zwei fallenlassen. Comeback der alten Masche.

W as war das Grauenvollste an den achtziger Jahren? Die Musik? Die Frisuren? Die Erfindung des Neoliberalismus? Nichts davon. Das Fürchterlichste an den Achtzigern war ein Geräusch. Ein Klackern. Klicken. Klappern. Man hörte es überall: Es war das Geräusch von Stricknadeln, die aneinanderstießen.

Die Verursacher waren Spontis und Latzhosenträger – es strickten nicht länger nur Omas, sondern auch junge Frauen. Sie strickten in Hörsälen, Kneipen und Bussen, in Wartezimmern, Theatern und im Bett, sie strickten unentwegt, weshalb sich auch Männer eine Beschäftigung suchen mussten und zum Ausgleich bald unablässig Selbstgedrehte rollten und rauchten.

Die Frauen störten sich nicht an dem dichten Qualm. Sie hatten auch kein Mitleid mit den Schafen, die wegen des gewaltigen Bedarfs an Wolle selbst im Winter splitternackt herumhopsen mussten und immerzu Schnupfen hatten. Ich habe nie verstanden, warum es damals nicht zu Straßenschlachten zwischen der Frauen- und der Tierschutzbewegung gekommen ist.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Klackern selbst war nicht das Problem. Es war im Gegenteil ein sehr entspannendes Geräusch – meditativer als das Geklimper von Ravi Shankar. Doch darin steckte eine Drohung. Denn bald schon hatten die Frauen die eigenen Kleiderschränke mit den selbstgestrickten kartoffelsackartigen Pullovern bis zum Platzen gefüllt.

Liebe im Lacan-Seminar

Dann waren wir an der Reihe: Zum Geburtstag oder aus falsch verstandener Liebe schenkten sie uns ihre Sackkreationen und erwarteten, dass wir sie auch trugen – im Lacan-Seminar, auf dem Bots-Konzert, im Gorleben-Camp, immer. Und damit bin ich endlich beim eigentlichen Grauen angelangt: Denn die Dinger juckten. Sie juckten schlimmer als Windpocken, Mückenstiche oder eine Müsliallergie. Wir kratzten uns ohne Unterlass. Manche mussten das Rauchen aufgeben, weil sie nicht mehr dazu kamen, sich vor lauter Juckreiz zwischendurch mal eine zu drehen. Andere wurden schwul, um den Säcken zu entfliehen. Schließlich begannen die ersten Männer zurückzustricken. Es war der Horror.

Die neunziger Jahre brachten die Rettung. Zwar ließen sich die Hervorbringungen der Pop-Produzenten, Friseure und Politiker auch weiterhin kaum ertragen, dafür aber krabbelten plötzlich Heerscharen kleiner silbriger Geschöpfe in die Kleiderschränke. „Motten!“, schrien die Strickliesel panisch, starrten auf Strickwerk mit bizarren Lochmustern, stopften es schluchzend in Mülltonnen und warfen verbittert ihr Strickzeug gleich hinterher.

Auf diese Art wurden auch wir unsere Juckover los. Seitdem herrscht Ruhe. Es sollte uns allerdings zu denken geben, dass in den dunklen Winkeln der Innenstädte wieder Strickshops öffnen. Schon sieht man Bäume, Stromzähler und andere wehrlose Opfer in wollene Überzüge gehüllt. Wir ahnen, wie sie leiden, denn sie können sich ja nicht kratzen. Und wir wissen, wen es als nächstes treffen wird.

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Joachim Schulz
Joachim Schulz wurde 1963 an der Nordseeküste geboren und in Regen, Wind und Nebel großgezogen. Er lebt mittlerweile in einer kleinen Welt in der hessischen Provinz, wo unablässig die großen Fragen des Lebens erörtert werden, und ist seit 1996 im Einsatz für Die Wahrheit.
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1 Kommentar

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  • Inzwischen gibt es doch diese herrlichen äh HERRlichen Synthetikfäden mit denen die Ariadnes der neuen Zwanziger nächstes Jahr endgültig die/der HERRschaft einem Ende zuführen können.

    Wartet ab, es tut euch gar nicht mehr weh, und uns juckts auch nicht mehr was ihr dazu raucht - draussen auf dem Balkon. :-)