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Die WahrheitBrennpunkt im Schnee

Uli Hannemann
Kolumne
von Uli Hannemann

Meteorologisch bedingte Sendungsformate in Endlosschleifen vermüllen unsere deutsche Fernsehlandschaft.

E s schneit. Im Januar. In Bayern. Und da es im Januar in Bayern mehrere Tage hintereinander schneit, gibt es auch jeden Tag eine „Brennpunkt“-Sendung in der ARD.

Dort zeigt man uns Schnee. Die Lage ist dramatisch. Der Schnee ist weiß und fällt vom Himmel. Da der Schnee gemeinerweise völlig unkontrolliert auf die Straße fällt, muss man ihn wegmachen, damit man mit dem Auto fahren kann. Wenn man das nicht gründlich genug schafft, wird die Straße gesperrt. Dann kann darauf kein Auto fahren und die Leute müssen in Gottes Namen mal einen Tag zu Hause bleiben. Alles Selbstverständlichkeiten, sollte man meinen, für die eine Lebenserfahrung vom fünften Geburtstag an aufwärts genügt, um ohne „Brennpunkt“ klarzukommen.

Der „Brennpunkt“ ist die Geheimwaffe des Senders gegen Sommer- und Winterloch. Menschen mit Mützen stehen in verschneiter Landschaft vor verschneiten Bäumen. Schau an, auch auf denen bleibt der Schnee einfach so liegen. Hätte man nicht gedacht, was für ein Hexenwerk der Natur. „Viel Schnee“, sagen die Leute, „huiuiui.“ Dann gehen sie wieder ins Haus zurück.

Des Weiteren sieht man Personen auf schneebedeckten Dächern herumhampeln und den Schnee herunterschippen. Das ist vernünftig, denn die Dächer würden sonst unter der Last zusammenbrechen, logisch. Also alles richtig gemacht, alles ganz normal und nicht weiter der Rede wert. Der „Brennpunkt“ findet das aber doch. Es regnet. „Brennpunkt“: Bürger, die den Schirm aufspannen. Es hört auf zu regnen. „Brennpunkt“: Bürger, die den Schirm zuklappen. Die Sonne scheint. „Brennpunkt“: Bürger, die die Sonnenbrille aufsetzen. Nichts passiert. „Brennpunkt“: Mein Fahrrad ist umgefallen, und scheißen muss ich auch.

In all seiner penetranten Redundanz weiß sich der „Brennpunkt“ in direkter Rechtsnachfolge zur „Wochenschau“ im Dritten Reich. Da lief auch jeden Tag dasselbe. Als nach dem Krieg das Fernsehen langsam Einzug in die Privathaushalte hielt, brach dennoch eine Phase der relativen Vernunft an. Wenn man mittags noch nichts oder nachts nichts mehr von Relevanz zu zeigen hatte, sendete man das sogenannte Testbild.

Doch spätestens mit der Einführung des Privatfernsehens war Schluss mit der vornehmen Zurückhaltung. Die Menschen ertrugen keine Stille mehr. Wenn nur eine Sekunde lang keiner mehr schrie, lärmte oder seierte, wurden sie unruhig und zu einer Gefahr für sich und andere.

Und nichts eignet sich für diese brüllend bunte Leere besser als der „Brennpunkt“. Der „Brennpunkt“ ist „die Sendung mit der Maus“ für Erwachsene, die schon das Original nicht verstanden haben. Das Dankbare am Wetter für die Macher ist: Es gibt jeden Tag ein neues, und damit auch einen neuen „Brennpunkt“: In Bayern hat es aufgehört zu schneien. „Brennpunkt“: Der Schnee schmilzt. „Brennpunkt“: Es fängt wieder an, zu schneien. Im Januar. In Bayern …

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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