Die Wahrheit: Unheiliger Bimbam
In Lübeck punktet die „Fresh-Prince-of-Bel-Air-Gedächtniskirche zum Fegefeuer“ mit allerlei Zeitgenössischem bei jungen Christen.
Führende Weltreligion zu sein ist ein hartes Brot. Ältere Anhänger wähnen die Liege im Paradies oft noch per Handtuch reserviert – und sterben darob bereitwillig dahin. Junge Leute aber ziehen lieber Social-Media-Holzköpfe als spirituelle Wegweiser heran. Ist die althergebrachte christliche Liturgie mit ihrem Latein also demnächst am Ende? Keinesfalls, denn deutsche Kirchengemeinden rüsten auf. Besuchen wir ein fortschrittliches Gotteshaus in der Marzipanstadt Lübeck.
Aus der katholischen „Fresh-Prince-of-Bel-Air-Gedächtniskirche zum Fegefeuer“ strömt Marihuanadampf. „Mit Weihrauch bringen Sie heute keinem Lahmen mehr das Gehen bei“, kommentiert der kräftige Priester mit zwinkernd geröteten Augen im Muskelshirt. Young Yeezuz, selbstgewählter Kanzel-Kampfname, ist Teil des Pilotprojekts „Junge Kirche“.
Wo aber bleibt das Weihwasser zum Bekreuzigen am Eingang? „Die Kids haben hier die Wahl zwischen Ice Bucket oder Hot Water Challenge“, so Yeezy, wie ihn seine Freunde nennen. Der 33-jährige Theologiestudienabbrecher begrüßt den Küster per kompliziertem Handschlag und präsentiert stolz das Kircheninnere, seine „Crib“: Licht kommt von Flatscreenfernsehern statt durch traditionelle Kirchenfenster, Relax-Möbel mit Shisha-Lounge-Flair zieren die Reihen. Auf der Kanzel windet sich eine Poledancestange.
Verfallen hier in der „Fresh-Prince-of-Bel-Air-Gedächtniskirche zum Fegefeuer“ nicht die Sitten? „Wir lassen vor den Kids halt die Hosen runter und erzeugen so Vertrauen“, sagt der Geistliche. Auch sein Outfit wurde umgemodelt. „Ich trage einen Adidas-Trainingsanzug mit Gucci-Bauchtasche. An hohen Feiertagen rocke ich eine Versace-Cap dazu. Der Swag heiligt eben die Mittel.“
Geiler Scheiss
Triebfeder für den radikalen Richtungswechsel in Lübeck ist die Berliner Werbeagentur SechsSechsSechs. „Geiler Scheiß“, nuschelt CEO Torben, der gerade in der Sakristei seinen Riechkolben in der kokainbefüllten Gesäßritze einer jungen Frau vertieft. „Diesen neuen Undergroundclub hier managen wir nice“, so der 22-Jährige. Den „antiken Tünnef“ habe man auf den Müll gekloppt, sich endlich auf „moderne Kernkompetenzen“ konzentriert. „Party eben“, sagt der Jungchef während er seine Nase erneut in der Po-Ebene versenkt.
Auch während der Messe ist Party Programm: Young Yeezuz taucht dann aus einem Orkan von Nebel und Konfetti am Altar auf. Neueste Charthits tönen lautstark davon, dass in diesem Kirchenschiff das heiligste aller Gebote lautet, dass der Bass ordentlich ficken möge. Die Crowd ist in Ekstase versetzt; Mädels setzen unter Einwirkung von Psalmen zu Kreischattacken an, Jungs entblößen ihre knabenhaften Körper.
Nach Dutzenden von Höhepunkten wenden sich alle wieder ihren Smartphones zu. Der Priester schaltet auf Selfiemodus, dann haut er die Predigt per Instastory über seinen Account raus. Es hagelt Likes, Likes, Likes. Beichte per Twitter? Gar kein Problem: „Unter dem Hashtag #naughtyhuman“, so Young Yeezuz, „bin ich aber so was von rund um die Uhr für meine Schäfchen erreichbar!“
Twerken im Rund
Anstelle einer Orgel und drohender Höllenverdammnis macht anschließend ein DJ ordentlich Druck. „Unsere Message soll nicht nur Kopf und Herz erreichen, sondern auch die Booties zum Schwingen bringen“, so Young Yeezuz, bürgerlich Jochen Ernst. Backgroundtänzerinnen lehren die Gemeinde nun, was twerken bedeutet.
Spätestens bei der Eucharistiefeier sind auch die letzten voll am Start. Statt fader Oblaten und Messwein werden Ecstasy und Wodka-Energy kredenzt. Die Stimmung kommt zum „Höhepunkt“, als ein junges Pärchen nicht Jesus ans Kreuz, sondern unter seinem Kreuz zu nageln beginnt. Der Kirchgang unterscheidet sich jetzt nicht mehr wesentlich von einem gemütlichen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen im Berghain.
„Ey, ich wollte heute gar nix saufen, aber dann dachte ich mir, Frühschoppen geht eigentlich immer“, lallt ein junger Christ. „Ich habe zu Gott gefunden“, ruft eine Frau, die euphorisch an einer Heiligenstatue leckt. Ein anderer Gast läuft verwirrt durch den Mittelgang und wiederholt mantraartig: „Ich kann Töne sehen! Ich kann Töne sehen!“
In der „Fresh-Prince-of-Bel-Air-Gedächtniskirche zum Fegefeuer“ zu Lübeck sprechen die eklatant höheren Besucherzahlen mittlerweile für einen massiven Umschwung: „Wir haben locker 200 bis 300 mehr Gäste pro Messe, berichtet Priester Young Yeezuz. „Es läuft so gut, dass wir bald auch Freitag und Samstag jeweils eine durchführen“. Kein Wunder: Bei fünf Euro Eintritt und zehn Euro Mindestverzehr kommt sonntags schon eine Menge Holz zusammen.
Die neue Popularität und vor allem den Geldsegen will die „Fresh-Prince-of-Bel-Air-Gedächtniskirche zum Fegefeuer“ sinnvoll nutzen: „Ich hätte gerne Goldzähne. Und einen Altar aus purem Gold. Ach, was soll’s, wir vergolden einfach die ganze Hütte!“ Young Yeezuz’ Augen leuchten. Das Marihuana dampft immer noch.
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