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Die WahrheitSpinnerte Spinnen

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (57): Animalische Weberinnen verzeichnen ganz unterschiedliche Erfolge mit Drogen.

Gestatten, das ist nicht Arabella, die legendäre Spinne aus dem Weltraum und anno 1973! Foto: ap

Man darf auf gar keinen Fall glauben, dass alle Spinnen ein Netz weben. „Die australische Kugelspinne zum Beispiel klammert sich an einen horizontalen Faden und lässt ein Bein kreisen, an dem ein weiterer Faden hängt, dessen Ende ein klebriges Tröpfchen trägt, an dem die Insekten hängen bleiben. Und das ist nur ein Beispiel für die Vielfalt der Fallen, über die die Spinnen verfügen können“, schreibt der Antipsychiater Fernand Deligny in einem Buch über sein „Kleines Netzwerk“ von Autisten und ihren Helfern in den Cevennen. Es heißt „Das Arachneische“ (2018) – von „Arachne“, die eine sehr geschickte Weberin in der griechisch-römischen Mythologie war. Daraus leiten sich die Spinnentiere ab, die Arachnida.

Als die geschickteste Weberin gilt heutzutage eine Kreuzspinne namens Arabella, denn sie spann 1973 im Weltraum – in der Schwerelosigkeit von „Skylab 3“ – vier Netze, eines schöner als das andere, und das unter für sie besonders extremen Bedingungen.

„Eine Spinne ist dafür gemacht“, schreibt die US-Autorin Elena Passarello in ihrem neuen Buch „Berühmte Tiere der Menschheitsgeschichte“, „ihr Netz wie eine Gitarre anzuschlagen. Sie ist dafür gemacht, eine Speiche mit einer ihrer Tarsalkrallen zu zupfen und zu spüren, wie die Erdanziehung die Schwingungen ihres Netzes verändert. Sie ist dazu gemacht, unten am Netz mehr klebrige Fäden zu spinnen als oben, weil es wegen der Schwerkraft weniger anstrengend ist, zur Beute hinabzuspringen als zu ihr hinaufzuklettern.“

Im Weltraum gibt es jedoch keine Schwerkraft. Zunächst „wusste die arme Spinne nicht, wo sie war“, erinnert sich Arabellas Betreuer im „Skylab“, der Wissenschaftspilot Owen Garriott. „Ihre acht Beine ragen in alle Richtungen, dann ballen sie sich zusammen und umklammern vergeblich den leeren Raum: eine kleine verzweifelte Kralle.“ Zwar gelang ihr dann ein erstes Netz, aber es war noch „ein Zerrspiegel ihrer akkuraten Erdspinnerei“.

Der Flug um die Erde dauerte ganze neun Wochen. Arabella fand laut Passarello schnell her­aus, dass „der einzige Weg, ein Netz im Flug zu spinnen, darin bestand, das Fliegen zu vermeiden – auf festem Boden zu bleiben“. Dieser bestand in ihrem Käfig darin, dass sie „in einem schmalen Zwischenraum eine straffe Brückenleine befestigte“.

Und von da aus funktionierte es. Der Kommandeur Bean notierte in seinem Bordtagebuch: „Arabella hat ihr Netz perfekt vollendet.“ Vier Tage später spann sie ein weiteres „herrliches Netz“. Überhaupt wurden ihre langsamen Schritte entlang den geraden Leinen ihres Netzes immer sicherer. Laut Passarello ist „eine Spinne in ihrem Netz uns weniger fern als ein Mensch, der in seiner Unterwäsche Rückwärtssalti durch ein Raumschiff schlägt“.

Arabella wurde deswegen der Star der „Skylab 3 Mission“ – an Bord ebenso wie auf der Erde, wo man ihre Arbeit am Bildschirm verfolgte. Leider verstarb sie bei der Landung. Als Todesursache wurde Dehydrierung angegeben. Sie ist heute ein Exponat im Nationalen Luft- und Raumfahrtmuseum der USA.

Nach der Einnahme von Speed legen Spinnen schnell los, gehen aber dann völlig planlos vor

Bei dem Experiment wollte man herausfinden, was für ein Netz eine Spinne in der Schwerelosigkeit webt – und ob überhaupt. In weiteren Experimenten der Nasa auf der Erde wurde getestet, was für Netze eine Kreuzspinne unter dem Einfluss verschiedener Drogen webt: Nach der Einnahme von Speed legte sie zwar schnell los, ging aber völlig planlos vor, sodass große Löcher im Netz klafften. Nach dem Injizieren von LSD bekam sie zwar eine saubere Grundstruktur hin, aber fast keine Querverbindungen.

Unter Einfluss von Marihuana fing die Spinne recht ordentlich an, aber dann folgte laut Rheinischer Post ein „Absturz – das Netz wurde nur halb fertig“. Das heißt, es blieb klein, während es mit Meskalin groß wurde, aber das auch nur zur Hälfte. Richtig tragisch wurde das Netzspinnen im Zusammenhang mit Koffein. Diese Droge schien die Spinne extrem zu verstören: Es fehlte ihr plötzlich der ganze Bauplan. Unter dem Einfluss von Chloralhydrat, das in Schlaftabletten enthalten ist, fing sie gar nicht erst richtig an zu weben. Bild berichtete: „Unter LSD weben die Spinnen die regelmäßigsten Netze“ – jedenfalls die im Labor des Tübinger Zoologen Hans Peters.

Die unregelmäßigsten Netze, ohne Drogeneinfluss, webt die kleine Zitterspinne – gern in Ecken der Zimmerdecken. Diese Netze haben wenig mit den kunstvollen Gebilden anderer Spinnen gemein: „Sie wirken eher unordentlich und bestehen aus vielen kreuz und quer gewebten Fäden,“ berichtet Lars Friman vom Naturschutzbund Deutschland. Ein deutsch-schweizerisches Forscherteam wollte wissen, was hält die Spinne an der Decke? Sie studierten die Füße der Springspinne mit dem Rasterelektronenmikroskop: „Dank ungezählter kleinster Härchen haftet die Spinne so fest, dass sie das 173-fache ihres eigenen Gewichts tragen könnte.“

Die Süddeutsche Zeitung fasste kürzlich den Bericht einiger Biologen des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama zusammen: „Kleine Spinnen haben einen ungewöhnlichen Weg gefunden, um ihr verhältnismäßig großes Gehirn im Körper unterzubringen: Bei ihnen reicht das Zentralnervensystem bis in die Beine. Bei dem größten der neun untersuchten Tiere, einer Goldenen Seidenspinne von vier Zentimeter Länge und zwei Gramm Gewicht, beschränkte sich das Zentrale Nervensystem dagegen auf den Kopf.“

Und das Traunsteiner Tagblatt referierte eine Studie über das Paarungsverhalten von Listspinnen, veröffentlicht von Forschern der dänischen Universität Aarhus. Die ergab, „dass Männchen, die mit Geschenken zur Brautwerbung kommen, weniger oft von Weibchen gefressen werden. Nicht nur die Weibchen der Listspinnen, die zur Familie der Raubspinnen gehören, neigen dazu, die Männchen während der Paarung zu verspeisen.“ Es gibt aber auch eine Spinnenart, die sich – umgekehrt – von ihren Jungen verspeisen lässt, indem sie ihre Organe für sie verflüssigt – bis auf ihr Herz. Es handelt sich um Stegodyphus lineatus, sie lebt in Mütterkolonien in Südosteuropa.

Die Journalistin Heide Platen berichtete in „Mensch, Tier“ (2002): Im Herbst fliegt der Nachwuchs der Zwergspinne an seinen Fäden mit dem Wind „durch die ganze Welt“. Spinnen erreichen an ihrem Seidenfaden Höhen bis zu 6.000 Meter und Entfernungen über Hunderte von Kilometern. Die schottische Naturforscherin Esther Woolfson nennt es „Ballooning“. Im Buch „Field Notes From a Hidden City“ (2013) erzählt sie unter anderem von ihrer Hinter-dem-Kühlschrank-Spinne, der Bücherregal-Spinne, der Orkney-Sessel-Spinne und der Treppenhaus-Spinne.

Wir hatten mal eine Kreuzspinne am Spülkasten im Bad, weil dort viele Mücken zu überwintern versuchten. Ich warf ihr gelegentlich eine Fliege ins Netz. Sie lernte schnell. Woolfson erwähnt eine Kreuzspinne namens Charlotte, über die E. B. White sein berühmtes Buch „Charlotte’s Web“ schrieb. Als er daraus öffentlich vorlas, kamen ihm bei den letzten Worten fast die Tränen: „Keiner war bei ihr, als sie starb.“

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