Die Wahrheit: Ein Denkmal für Habermas
Sehnsüchtig verlangt es den Fan nach einem Autogramm des Popstars. Aber viel besser ist ja das Gedicht, das er über sein Idol verfasst hat …
N un trifft man ja nicht jeden Tag einen Helden aus der Welt des Denkens. Aber neulich auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz war es so weit. Ich saß mit meiner Frau auf einer Bank, und wir teilten uns eine Zigarette. Da bemerkte ich eine Dreiergruppe, die mehrfach um das Denkmal herumging, das dort vor Jahren zur Erinnerung an die Göttinger Sieben errichtet wurde.
Die mit dem Monument Geehrten waren zwar ziemlich berühmt wie die Brüder Grimm, die seinerzeit gegen die Einschränkung der Freiheit durch König Ernst August I. von Hannover protestiert hatten. Aber der ältere, sehr weißhaarige Herr neben den beiden Frauen war noch viel berühmter!
Es war Jürgen Habermas, wachhabender Weltgeist, Träger des Prinz-von-Asturien-Preises, des Kyoto-Preises und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Trotz seiner 89 Jahre war er sehr wortreich dabei, den Damen das Denkmal zu erklären. Dazu muss man wissen, dass es eigentlich nur aus einem figurlosen Steinquader besteht, der einer Interpretation in der Tat sehr harrt.
Je länger ich die Szene beobachtete, umso aufgeregter wurde ich. Die nächste Zigarette rauchte ich ganz allein und erwog, mir von dem Weltdenker ein Autogramm geben zu lassen. Schon gingen mir die Worte durch den Kopf, mit denen ich mich dem großen Idol nähern wollte, dem vermutlich solch ein Wunsch nicht tagtäglich angetragen wurde. Aber dann bemerkte ich, dass ich gar kein Papier dabeihatte.
Ich fragte meine Frau, die immerhin die Pappummantelung einer Fischdose hervorkramte. Sie meinte allerdings, dass ich als altgedienter Verseschmied dem Professor Habermas doch besser ein Gedicht widmen sollte, als ein Autogramm zu schnorren. Und da fiel mir mein wohlbekannter Vierzeiler ein, den ich einst auf ihn verfasst hatte und den ich sogleich auf die Pappe kritzelte. Er lautet: „Von Sokrates bis Luis Trenker / kennt Europa keinen Denker, / der stur wie Jürgen Habermas / auch sonntags in der Mensa aß.“
Nur beim Wörtchen „stur“ stutzte ich plötzlich, denn es schien mir nicht ganz passend. Im letzten Moment fiel mir „stolz“ ein – und derart pappbepackt ging ich auf die Dreiergruppe zu, die auch gerade ihr Denkmalkolleg beendet hatte.
„Entschuldigung“, sagte ich, „ich möchte Sie nicht aufhalten. Aber Ihnen, Herr Habermas, würde ich gern ein persönliches Gedicht überreichen, das ich schon auf vielen Veranstaltungen vorgetragen habe.“ Er wirkte keineswegs überrascht, sondern sagte nur: „Dann lassen Sie mal hören – und wer sind Sie überhaupt?“
Ich erklärte mich und trug die vier Zeilen vor. Der so Gehuldigte bedankte sich artig und fügte an, besonders schmeichle ihn, dass ich ihn mit Luis Trenker, dem Helden seiner Jugend, in Verbindung gebracht habe. Sokrates schien also nicht so sehr sein Ding zu sein. Und dann nahm er die Fischpappe und steckte sie freundlich nickend ein. In den Weltgeist eingespeist.
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