Die Wahrheit: Jenseits von Messers Schneide
Ein kurzer Blick in die Küchen und Esszimmer dieses Landes zeigt, dass Deutschland dabei ist, über die Klinge zu springen.
Deutschland – ein Land im Messer-Wahn! In diesen Tagen haben AfD und Bild-Zeitung im Verein mit den besorgten Bürgern des Internet eine „Messer-Epidemie“ ausgemacht. Der grassierende Irrsinn fordert demnach täglich so viele Opfer, dass der Fortbestand des deutschen Volkes bedroht ist. Zwar erfinden die üblichen Abwiegler der Systemmedien nun einen Haufen Statistiken, denen zufolge alles gar nicht so schlimm sei und es immer noch mehr als genug Einheimische gebe. Ein kurzer Blick in die Küchen und Esszimmer dieses Landes zeigt aber, dass die Gefahr eine überaus reale ist. Wir ersticken mittlerweile an Messern, werden von ihrer schieren Masse buchstäblich niedergemessert, hingemetzelt und totgekitzelt, dass es nur so eine Art hat.
„In einer deutschen Besteckschublade“, berichtet Jean-Jacques Couteau vom Messerinstitut Solingen, „liegen im Schnitt allein neuneinhalb Menümesser. Speziell bei dem halben Messer sollte man aufpassen, wenn man es herausholt – statistisch gesehen handelt es sich zu fünfzig Prozent um die Klinge.“ Da kann man mit dem Experten nur dringend warnen: Vorsicht, massive Verletzungsgefahr! Kein Wunder, dass die Bürger draußen auf der Straße komplett durchdrehen und sich kaum mehr in ihre Wohnungen trauen.
Wo sie aber schon mal im Freien sind, decken sich viele unterwegs beim Messerdealer ihres Vertrauens angstschlotternd mit neuen Hieb-, Stich- und Streichwaffen ein. Angesichts des überwältigenden Angebots bleibt es nicht bei den vergleichsweise harmlosen Menümessern. Monsieur Couteau weist darauf hin, dass viele Haushalte auch die kleineren Frühstücksmesser und die größeren Tafelmesser bergeweise horten – erstere für einen schneidigen Start in den Tag, letztere angeblich für „festliche Gelegenheiten“, womit hoffentlich nicht grässliche Ritualmorde gemeint sind.
Dessertmesser, Fischmesser, Buttermesser
Doch es geht noch viel tiefer. „Die Deutschen sind von ihren Messern regelrecht besessen“, schlägt Couteau Alarm. Nach seiner Beobachtung bewaffnen sich die Freunde subtilerer Gewaltanwendung derzeit bis über beide Ohren mit Dessertmessern, Fischmessern und Buttermessern; die rustikalere Fraktion statte ihr Arsenal zusätzlich mit Steakmessern, Brotmessern und Jagdmessern aus, manche sogar mit Teppichmessern.
„Insbesondere in Westdeutschland hat die Aufrüstung ein solches Ausmaß angenommen, dass man die Aufschneider schon pauschal als Messer-Wessis bezeichnet“, kritisiert Couteau. In jedem zweiten Haushalt zwischen Flensburg und Berchtesgaden finde sich inzwischen eine Kollektion ultrascharfer japanischer Schneidegeräte, darunter stets eines der berüchtigten Santoku-Messer – so scharf, dass es selbst seinen eigenen Stahl wie Butter durchschneiden könnte.
Kauf und Besitz sind in Deutschland völlig legal
„Wenn ein solches Messer in die falschen Hände gerät“, mahnt der Experte, „zum Beispiel in die eines Ostdeutschen, dann ist ratzfatz der Daumen ab! Und die Arbeitsplatte auch. Und die Spülmaschine und der Fußboden und die Etage darunter ebenfalls!“ In Anbetracht der vielen tausend Körperverletzungen, die jeden Tag in deutschen Küchen teils absichtlich, teils unabsichtlich begangen werden, sei dies ein unverantwortlicher Zustand der Gesetzlosigkeit, den die Politik geradezu mutwillig herbeigeführt habe.
„Kern des Problems ist“, wie Monsieur Couteau mit gerunzelter Stirn erklärt, „dass der Kauf und Besitz von Messern in Deutschland völlig legal ist.“ Kleinere Einschränkungen gebe es bloß bei Messern, die dezidiert militärischen oder kriminellen Zwecken dienten oder beidem gleichzeitig. „Ansonsten können Sie in ein beliebiges Haushaltswarengeschäft gehen und Messer kaufen, wie Sie wollen – so einfach wie in den USA ein Sturmgewehr. Niemand wird Ihren Ausweis oder Ihr polizeiliches Führungszeugnis sehen wollen!“
Alle vorhandenen Besteckteile beschlagnahmen
Was dem Mann aus Solingen besonderen Kummer bereitet: Auch der Gebrauch der potentiell tödlichen Waffen ist überwiegend legal und nach wie vor ohne Messerschein möglich. Dem Gesetzgeber scheint dabei vollkommen schnuppe zu sein, ob Kinder Zugang zu den vielen Millionen Messern haben, die in Deutschland herumliegen oder mit Schwung am Abendbrottisch geführt werden. „Während Besitzer kleinkalibriger Jagdwaffen gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Flinten außerhalb der Reichweite der Kleinen zu gebrauchen, existieren für Messer keine solche Vorschriften. Und dann jammern alle, dass es hierzulande zu wenige Kinder gibt!“
Mit dem geschärften Blick des Fachmanns sieht Jean-Jacques Couteau mittelfristig nur einen Weg aus dem Dilemma: ein generelles Verbot von Messern sowie eine ausufernde Bürokratie für notwendige Ausnahmen wie Gastronomie, Jagd und Mittagspause. Zwar werde es Jahre dauern, alle vorhandenen Besteckteile zu beschlagnahmen. Ein erster Schritt könnte aber sein, an Personen ohne Messerschein grundsätzlich nur noch abgerundete und ungeschliffene Kindermesser abzugeben, damit nicht noch mehr Deutsche über die Klinge springen müssen. „Deutschlands Zukunft“, sagt er ernst, „steht auf Messers Schneide. Sie wird stumpf sein oder gar nicht.“
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