Die Wahrheit: Die fetten Jahre sind vorbei
Die Butterberge vergangener Tage sind längst abgeschmolzen. In der Butterrepublik Deutschland droht eine butterlose Zeit.
Deutschland geht es gut, sehr gut, so scheint es. Die Wirtschaft läuft wie eine satt gefettete Melkmaschine, international wird man respektiert wie seit siebzig Jahren nicht mehr, und auf Schloss Bellevue gießt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier höchstpersönlich zweimal täglich die Blumen des Hauses mit frischem Rahm. Doch während mit großem Glanz die deutsche Einheit gefeiert wird, brutzelt es hinter der goldenen Fassade, schmelzen lange gehegte Gewissheiten zu einem kleinen See zusammen und verwandeln sich in braune Soße. Irgendetwas stimmt nicht in der Bundesrepublik, das spüren die Menschen genau.
Schon lange mehren sich die Anzeichen für eine fundamentale Krise der Gesellschaft. Ein Blick ins Kühlregal eines beliebigen Discounters genügt als Indiz, dass sich gerade etwas ganz Grundlegendes ändert. 1,99 Euro kostet das billigste Stück Butter dort. Die Welt, wie wir sie kennen, droht aus den Fugen zu geraten.
„Wie soll ich denn jetzt meine berühmten Fettwuppis backen?“, klagt Evi Baumgarten. Die Endvierzigerin steht mit vollem Einkaufskorb vor dem Supermarkt, aber ohne Butter. „Zu teuer“, schnupft sie. Über ihre rosigen Wangen rinnen bittere Tränen. Angeschmiert fühle sie sich. Von Handelsketten, die nur den Profit im Auge hätten.
Diktat der Bauernlobby
Filialleiter Fred Schleicher winkt bei solchen Anschuldigungen ab. „Wir würden unsere Produkte aus dem Bereich Wasser-in-Fett-Emulsion ja gerne billiger anbieten“, sagt er resigniert. „Aber unser Spielraum dafür ist minimal, die Bauernlobby diktiert leider die Preise.“ Matt lehnt er mit dem Rücken an einem Großgebinde Bier und raucht. Sein Blick ist leer, der graue Vokuhila wirkt heute noch etwas grauer. Es sind schwere Zeiten, auch für ihn.
„Ich wollte einfach mehr verdienen“, gibt Landwirt Erwin Hermann unumwunden zu. Jüngst hat er sich einen zweiten Picasso für den Kuhstall geleistet. „Man liest ja immer wieder, dass Mozartklänge der Milchleistung auf die Sprünge helfen. Da habe ich mir gedacht: Warum nicht auch Malerei?“, lacht Hermann. „Versuchen kann man’s ja mal. Und kunstsinniger als ich sind die Viecher sowieso!“ Gutgelaunt jumpt der Neukrösus in seinen Ferrari und pflügt ein Tulpenfeld um – mit Burnouts.
Doch Bauer Hermanns Bekenntnis zum Egoismus ist nur die halbe Wahrheit. Worüber er nicht spricht, ist, dass die Preise für Milchprodukte indirekt von der EU vorgegeben werden. Denn die deutsche Landwirtschaft ist abhängig von den Subventionsfässern in Brüssel, wird von dort kontrolliert.
Wie immer, wenn von höchster Stelle scheinbar Widersinniges dekretiert wird, stellt sich auch hier die Frage: Cui Bohne? Wer hat Interesse? Um zu verstehen, wie sehr dieser historische Höchstpreis das Selbstverständnis der Deutschen erschüttert, muss man tief eindringen in die Geschichte des Landes.
B wie Wirtschaftswunder
Butter war schon immer das nationale Symbol für Wohlstand und Fortschritt schlechthin, noch vor Eigenheim und Auto. Sie gehört zum Gründungsmythos der BRD wie Wirtschaftswunder, Entnazifizierung und Kommunistenjagd. Wesentliche Paragrafen des Grundgesetzes wurden zuerst auf Butterbrotpapier notiert. Noch bis in die sechziger Jahre war Butter ein gängiges Zahlungsmittel, selbst das Trinkgeld hieß früher „Buttergroschen“.
Erschwingliche Butter bedeutete für alle, ein kleines Stück vom gemeinschaftlich gebackenen Kuchen abzubekommen, mit der man sich seinen eigenen kleinen Kuchen backen konnte. Welche Unterschiede es auch geben mochte, beim Streichfett verschwanden die Grenzen zwischen Milieus und Klassen. Butter für alle war ein Versprechen, dass niemand zurückgelassen werde, aber jeder zerlassen darf. Dass, was immer auch passieren möge, auf jeden noch so armen Hanswurst in einem nahen Ladengeschäft ein Stück bester Markenbutter wartet, das er sich leisten kann. Deutschland einig Butterland.
Dieses Versprechen wurde nun aufgekündigt. Statt aufs Brot können sich die Mittellosen ihre Butter in die Haare schmieren. Innerhalb nur eines Jahres hat der Preis sich verdoppelt. Experten warnen, sollte der Trend anhalten, koste das halbe Pfund in fünf Jahren 64, in zehn 2048 und in hundert gar sagenhafte 11 Fantastilliarden Euro – mehr Geld, als es auf der Welt gibt.
Großer Reibach mit Streichfett
Das ruft Spekulanten auf den Plan, die im Buttergeschäft den ganz großen Reibach vermuten und den Preis so weiter in die Höhe treiben. Auch bei Privatanlegern wird das „gelbe Gold“ immer beliebter. Manch einer lagert bereits seine gesamte Altersvorsorge in Form von Fettpaketen im Kühlschrank oder näht sie sich gar in die Matratze ein. Immer größere Mengen des Nahrungsmittels gelangen nicht einmal mehr in den Handel – während die Masse darbt.
Gismund Ros spricht unglaublich schnell. Der 28-jährige Magdeburger besitzt nach eigenen Angaben einen IQ von 167, ist bekennender Reichsbürger und hat sich mit zahlreichen YouTube-Videos zum Thema Butterkrise informiert. Die EU, so seine Analyse, sei letztlich ein Lakaie von USraHell, wie er eine vermutete Gemeinschaftsregierung der Vereinigten Staaten und Israel nennt. Von dort aus treibe man den Zerfall der Volksgemeinschaft voran, und die sei nun einmal im Wesentlichen durch die Butter definiert. Was mit den offenen Grenzen und der Flüchtlingskrise begonnen habe, werde nun mit der Butterkrise beschleunigt und fortgesetzt. Ziel der imperialen Bestrebungen sei die nationale Apokalypse und die anschließende Versklavung des nun arbeitslos gewordenen Personals der BRD GmbH, so Ros.
Als Stichtag nennt er den 17. Februar 2019. „Dann wird in Washington die Butter mit den sieben Lebensmittelsiegeln geöffnet, und die vier apokalyptischen Kühe grasen über das Land hinweg und vernichten alle Wiesen“, prophezeit Ros entrückt. Wenn schließlich die sieben Vuvuzelas ertönten, sei die Sache praktisch gelaufen, dann könne man sich auf ein Leben in Knechtschaft einstellen.
Der Widerstand gegen diese Pläne aus dem Ausland wächst. Viele wollen sich von den hohen Butterpreisen nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Marktleiter Fred Schleicher bietet solchen Kunden nun einen Butterersatz aus Sägespänen und Kartoffelbrei an. Der Absatz ist schleppend.
„Die Ersatzbutter schmeckt sehr viel mehliger als das Original, nach Kartoffeln und Sägespänen. Für mich kein Vergleich!“, urteilt Eva Baumgarten. „Was waren das noch für Zeiten, als es den Butterberg der EG gab! Bei den Stullen wurde nicht gespart: zwei Stück Butter, dazwischen eine Scheibe Toast. Noch heute weiß ich, wie schlecht mir davon wurde. Herrlich!“
Frau Baumgarten will sich diese Zeiten zurückkämpfen. Zusammen mit Gismund Ros hat sie auf Facebook einen Aufruf zur Rettung der BRD GmbH vor der Zerstörung durch die geheime Weltregierung gestartet. Denn Deutschlands Butter, so viel ist sicher, wird auch im Internet verteidigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt