Die Wahrheit: Felder für Fakten und Fakes
Fake statt Recherche, Sampling statt Quellenangaben: eine Exkursion durch die bewährte Tradition journalistischen Schaffens.
E s herrscht ein buntes Durcheinander in Sachen Fake und Recherche, Sampling und Quellenangaben, Journalismus und Belletristik sowie Reportagen, die allein im Archiv gedeihen. Da ich eher zur Lichtsynthese neige, weniger zur Spektralanalyse, stelle ich einfach aktuelle Kostproben vor.
Da wäre etwa Theodor Fontane (1819–1898). Es sei „schon lange bekannt“ gewesen, sagt die Germanistin Petra McGillen, dass er Zeitungsberichte verfasst habe, „die er mit Fantasie und falschen Fakten frisierte“. Neu sei die Erkenntnis, „wie gut sein Vorgehen zu dem heutiger Fake-News-Produzenten passt“. In jener Zeit sei „aus den unechten Korrespondenzen geradezu ein eigenes Genre“ geworden. Die Leser erwarteten, dass die großen Zeitungen eigene Korrespondenten einsetzten, Agenturmeldungen waren zu wenig. Kleinere Gazetten konnten sich das nicht erlauben, so wie die Kreuzzeitung, für die Fontane schrieb: „So hat er jahrelang angeblich weiter aus London berichtet, ohne in dieser Zeit je wieder dort gewesen zu sein.“ Ein weites Feld.
Nun tritt Michael Naumann auf, tätig unter anderem als Kulturstaatsminister unter Gerhard Schröder. In seiner soeben erschienenen Autobiografie schreibt er laut einer Rezension von seinen ersten Jahren als Journalist dies: „Reportagen des Zeit-Magazins fanden nicht selten als Last-minute-Reisen ins Archiv statt.“ Sie führten ihn „nach Afghanistan, China, Japan und andere erlesene Länder, ohne Visum, ohne Flugticket, aber mit viel Chuzpe und einem wohlsortierten Vorrat an Pseudonymen.“ Heute nennt er das eine „journalistische Schande“, wobei er auch auf den Spiegel verweist: „Dort sei das Fake-Verfahren, damals noch ohne Verfasserangabe Reisen ins eigene, legendäre Archiv als Vorortrecherchen auszugeben, ebenfalls üblich gewesen.“
Unweigerlich kommt jetzt Tom Kummer zu Wort, Vertreter des von ihm etikettierten „Borderline-Journalismus“. In das kulturelle Gedächtnis hat sich insbesondere der „Presseskandal“ im Jahr 2000 eingeprägt. Die meisten seiner Interviews mit Prominenten hatte er nie geführt, beide Chefredakteure des SZ-Magazins wurden daraufhin entlassen.
Nun hat Kummer den Roman „Nina & Tom“ veröffentlicht. Flink entdeckte Kritiker Tobias Kniebe darin „geklaute Passagen“, nämlich aus Romanen von Frédéric Beigbeder, Richard Ford und Kathy Acker. Na und?, fragt man sich plötzlich, oder: Ach was? Schon seine „Reportagen“ hatte Kummer ja als „Sampling“ bezeichnet, das „von der Kunstfreiheit geschützt sei“. Und: „Quellenangaben halte ich für ästhetisch störend.“
Im Gegensatz dazu recherchiert der Schriftsteller Peter Stamm für seinen Roman wirklich. Er erzählt, pro Tag 600 Wörter zu verfassen, „mehr nicht!“ Er braucht nämlich viel Zeit für seine Nachforschungen, ist „draußen unterwegs“. „Ich halte nicht viel von Schreibtischrecherchen. Google Earth hat keinen Geruch und kein Wetter.“
Ein Fazit: Verlassen kann man sich eigentlich nur auf die Wahrheit-Seite. Und nun zum Wetter.
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