Die Wahrheit: Dem Dativ zum Gruße

Um das altertümelnde Morphem des Wemfalls sammeln sich immer mehr Anhänger. Sie hegen oft nicht einmal ironische Absichten.

Ein Schaf

Zur Genese der Sprache gehört auch das Wiederkäuen altbackener Formen Foto: dpa

Die Jugend mag Neues, weil sie selber neu ist, kann man irgendwo beim alten Robert Musil lesen. Auch in der Sprache ist vor allem sie es, die Neues erfindet oder begierig aufgreift. Die Alten dagegen jammern über „Die Sprache im Modernisierungsfieber“ und beklagen „Trends und Tollheiten im neudeutschen Sprachgebrauch“ (Titel beziehungsweise Untertitel von Büchern Dieter E. Zimmers, Jahrgang 1934): Die Alten halten am Alten fest, damit es weiterexistiere wie sie.

Wie üblich stimmt auch das Gegenteil. Beispielsweise gibt es Junge, die Altes mit frischem Leben begaben. Es kann dann, wie eine Mode von gestern, die fast vergessen ist, aber noch erinnert wird, leicht komisch wirken. Sei’s drum: „So feit (!) Leibesertüchtigung (!!) gegen Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislaufkrankheiten“, schreibt die ewig junge taz und gibt einem Bericht über Nachwuchssorgen den Titel: „Die Jugend fährt dem ADAC von dannen“.

Solch Rückgriff auf Altes feit gegen sprachliche Verödung. Als drohende Ödnis empfunden wird anscheinend auch, dass der schöne, etwas kauzige Genitiv von dannen geht. Sintemal jede Bewegung eine Gegenbewegung hervorruft, ist dahero nicht nur der Dativ dem Genitiv sein Tod, sondern zuweilen der Genitiv der Tod des Dativs. Konstruktionen wie „gemäß des Protokolls“, „entgegen des guten Vorsatzes“ oder „gegenüber des Tatortes“ sind allenthalben zu hören oder zu lesen, obwohl diese Präpositionen weiland exklusiv den Dativ regierten.

Vielleicht soll der Genitiv den Ton großer Seriosität erzeugen, dessen der Dativ ermangelt. Oder der dem Dative fehlt? Die Form mit dem Suffix, die dunnemals bei Substantiven von maskulinem und neutralem Geschlechte gepflogen ward, scheint derzeit ein Revival zu erleben: dieweil sie würdevoller klingt?

In idiomatischen Wendungen ist sie seit Urväterzeiten Usus. Etwas ist auf bestem Wege, geschieht aus diesem Grunde, bewegt sich am Rande der Legalität, schlägt zu Buche oder verläuft im Sande: Allemal handelt es sich um einen übertragenen, bildhaften Gebrauch. Wer zu Kreuze kriecht, kriecht nicht wirklich zu einem Kreuz.

Altertümliche Formel

Das heißt aber nicht, dass alsogleich in allen Fällen, wo eine verblichene metaphorische Bedeutung mitspielt, das Dativmorphem am Platz ist. Aber am Platze ist es leider oft: Man lebt „auf großem Fuße“ (taz) und ergreift eine Chance beim „Schopfe“ (NDR-Talkshow), und dennoch ist das e hier „mit einem Schlage überflüssig“ (taz), weshalb es einem spätestens dann „zum Halse heraus“ (titanic) hängt, wenn von einem bildlichen Gehalt nicht mehr die Rede sein kann, aber dennoch etwas „auf dem Grunde des Meeres“ (NDR 4) liegt oder UTB Restauflagen zu „interessantem Preise“ feilbietet.

Nicht nur der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, zuweilen ist auch der Genitiv der Tod des Dativs

Das olle Dativmorphem kommt hier mit vollem Ernste zum Einsatze. Gott zum Gruße geht es auch anders, welchselbige altertümliche Formel ja kein Gruß ist; sie drückt vielmehr ironische Distanzierung von einer unschönen Sache hienieden aus. Deshalb rügt man wohl auch Machenschaften „zum Zwecke des Umsatzsteuerbetrugs“ (Konkret) auf sotane Weise.

Apropos altertümlich: Zum Standardrepertoire gehört das Suffix, wenn jemand zum Tode verurteilt wird; so klingt es eben angemessen archaisch. Wahrscheinlich soll es auch pietätvoll sein, wenn die ARD eine Sendung „Zum Tode von Helmut Schmidt“ ankündigt. Aber wenn Bewohner einer belagerten Stadt „dem Hungertode nahe“ (taz) sind, klingt das eher unangemessen gekünstelt; sehr angebracht ist das hehre Dativ-e hingegen beim Trivialfilm „Der Kuss vor dem Tode“ (USA 1991): Der Abstand von hohem e und billigem Movie lässt erwarten, dass es sich um Schrott handelt.

Zu Tische im Binnenverhältnisse

Schrott gibt es wie Sand am Meere. Da geschieht etwas „im Schutze der Dunkelheit“ (taz), wird „kein Hund bei lebendigem Leibe verbrannt“ (Titanic) und „das Leben der Käthe Kollwitz bis zum beginnenden Ersten Weltkriege“ (taz) aufgerollt; da kommen Bauern „im ganzen Lande“ (taz) zusammen, geht man „zu Tische“ (Andy Strauß: „Kuck dir die Tiere an, wie glücklich die immer sind“) und klagt, dass „im Binnenverhältnisse“ (taz) einer Gruppe etwas schiefgeht.

Schief ist vor allem die altbackene, gespreizt wirkende Dativform, die in einigen Fällen wohl Ernst und Bedeutung hervorkehren soll (zum Beispiel bei Wörtern, die schon genug davon haben). Zu diesem Zwecke werden sogar bislang unbescholtene Zitate aufgebläht: „Es geschieht am hellichten Tage“ lautete ein Thema auf „Spiegel TV“. Der aus dem Jahr 1958 stammende Filmklassiker zum Thema aber heißt unprätentiös „Es geschah am hellichten Tag“.

In diesem „Stile“ (taz) gäbe es noch der Beispiele viele, sei aus diesem „Jahre“ oder einem verflossenen. Aber „im Verlaufe“ (NZZ) dieser Glosse dünkt es hoffentlich männiglich, dass ein Trend zum altdeutschen Sprachgebrauche manchmal nichts weniger als angebracht ist. Gewisslich deucht das auch Ihnen? Auch Sie wollen doch nichts mehr, als es fürder richtig machen!

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