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Die WahrheitDafür nicht!

Kolumne
von Bernd Gieseking

Der Ostwestfale hat die Genügsamkeit zur Kunstform erhoben. Doch manchmal schießt er in aller Bescheidenheit über das Ziel hinaus.

M an darf die Menschen in meiner Heimat Ostwestfalen loben, sie sind witzig, aufrecht, ehrlich, knorrig. Manchmal auch knurrig. Nur eines kann man nicht: Man kann sich nicht bedanken bei ihnen. Abgelehnt wird der Dank mit einem „Dafür nicht!“, der höchst uneitlen Entgegnung auf Dank jedweder Art. Tut man jemandem einen Gefallen und der sagt: „Danke!“, so antwortet man nur: „Dafür nicht!“. Man meint: „Komm, ist doch nicht nötig. Gern geschehen. Keine Sache!“ Herrlich, oder?

Das ist auch die Begründung, warum es aus dem Ostwestfälischen stammen muss. Nirgends nimmt man sich so sehr zurück. Die Bescheidenheit kann hier schnell zur Selbstverleugnung werden, und ein gesunder Stolz auf die eigene Leistung wird nie nach außen getragen – das wäre ja schon Arroganz! Der Hamburger wandelte das ab in „Da nicht für!“, und wenn der verstorbene Harry Rowohlt das sagte, klang es wie Poesie und noch cooler.

Seit einigen Jahren antworte ich auf das „Dafür nicht!“ hin und wieder mit „Doch! Genau dafür!“. Man darf seinem eigenen Dank schließlich nicht einfach die Butter vom Brot nehmen. Vielleicht benutzt der eine oder andere diese „Dankes-Abwehr-Formel“ auch eher reflexhaft als reflektierend. Allerdings gebietet es doch die Höflichkeit dessen, dem geholfen wurde, sich für das Getane zu bedanken. Wer wäre man, dass man sich dieser Hilfe nicht bewusst wäre und sie ohne Dank hinnehmen würde. Das wäre ja gänzlich unostwestfälisch.

Schon Wilhelm Busch, der keine zehn Kilometer von der Landesgrenze zu Ostwestfalen in Niedersachsen geboren wurde, also im Typus ähnlich war, wenn nicht sogar gleich, dichtete: „Es ist ein lobenswerter Brauch: / Wer was Gutes bekommt, bedankt sich auch.“

Ich kenne nur einen Menschen, bei dem man sich im Grunde überhaupt nicht bedanken kann: meine Mutter. Will man „unser Ilses“ etwas Nettes sagen, wird sie sich hinter einer Mauer leichter Unhöflichkeit verschanzen: „Ick glöwe, et gaht los!“ Sie ist nicht in der Lage, Hilfe, Unterstützung oder Geschenke anzunehmen, ohne sich zu revanchieren. Das führt bei manchen Nachbarn zu unendlichen gegenseitigen Dankesspiralen. Die eigene Leistung bedenkt sie dabei nie.

Schon ein simpler Dank des Sohnes für Mittagessen ist unmöglich. Ihr ironisch formuliertes Lebensmotto „Bescheidenheit ist eine Zier, / doch es geht auch ohne ihr“ verhindert dieses tiefe Gefühl der Zufriedenheit, das man sich doch nur selber schenken kann.

Das war oft schwer für ihre Kinder, denn das bedeutete zugleich, dass nie etwas ausreichend gut war. Man beschreibt die Erziehungsmethode der Eltern dieser Generation Westfalen am besten mit dem Satz: „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“ Wir Kinder wünschten uns etwas mehr Euphorie und Unterstützung seitens der Eltern, aber die hatten sie genauso wenig bekommen. Heute aber scheint das oft ins Gegenteil umzuschlagen: Junge Eltern loben ihre Kleinsten für Dinge, die sie ihnen lieber verbieten sollten.

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2 Kommentare

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  • Der Spruch geht etwas anders. „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt [oder auch: besser lebt] man ohne ihr.“

     

    Soll heißen: Ja, es geht auch ohne, aber nicht mit Profit. Womöglich handelt es sich bei der Fälschung des Sprichworts ja um eine sogenannte Fehlleistung nach S. Freud, um ein „Versehen“ also, das allerdings auf einer unbewussten Ebene durchaus einen gewissen Sinn ergibt.

     

    Ich würde Bernd Gieseking ganz gerne fragen, wieso er eigentlich mit 58 Jahren noch immer auf ein Lob seiner Mutter angewiesen zu sein glaubt, wenn er tatsächlich überzeugt ist, das „tiefe Gefühl der Zufriedenheit“ sei etwas, was „man sich doch nur selber schenken kann“.

     

    Ich glaube kaum, dass Giesekings Mutter „die eigene Leistung [wirklich nie] bedenkt“, wenn sie Gutes tut. Sie thematisiert sie bloß nicht laut. Das macht es ihrem (sonst ja wohl nicht auf den Kopf gefallenen) Sohn offenbar schwer, den Stolz wahrzunehmen, den seine Mutter empfindet, wenn sie etwas getan hat, wofür sich andere bedanken möchten.

     

    Unsere moderne, angeblich aufgeklärte Welt ist sehr auf Äußerlichkeiten fixiert. Zumal in den Medien, muss alles lang und breit berdet und bebildert werden, damit die Leute das Gefühl bekommen, dass es überhaupt existiert. Als das oben zitierte Sprichwort entstanden ist, war das noch völlig anders. Da hat man noch inbrünstig geglaubt. Vor allem an solche Dinge, die nicht auf den ersten Blick zu sehen waren. Das Privileg haben heute höchstens noch Bakterien und Vieren oder Schwarze Löcher.

     

    Nein, liebe Kinder jeden Alters und Geschlechts, wenn man euch nicht immer gleich den güldenen Heldenkranz in eure Locken drückt, bedeutete das NICHT, „dass nie etwas ausreichend gut“ ist. Es bedeutet nur, dass ihr keinen mehr Profit schlagen müsst aus den privaten Gefühlen eurer Lieben. Ihr seid nun groß und für euren Gefühlshaushalt selbst verantwortlich. Ihr könntet euch selber loben, wenn ihr glaubt, dass das wichtig ist. Muss ja nicht immer laut und öffentlich sein.

    • @mowgli:

      Stimme schmunzelnd zu.

       

      Aber nach 9 1/2 Jahren Westfälisch Sibirien -

      vulgo Suerland - woll! Sei gesagt:

      ´s Mowgli kennt die Westfalen nicht!

      Bitte. Gerne. Dannich für!;))

      Wollnichwoll!