Die Wahrheit: Echte Gewinnertypen
Weil die Ökonomie längst auch die Diktion bestimmt, haben sich Gewinnst und Profit in unsere Redewendungen geschlichen. Eine Sprachkritik.
![](https://taz.de/picture/1928794/14/eb1900065bd30d30400c14d530a92465_edited_68248842_556e9c353a.jpeg)
Dem Volk aufs Maul zu schauen, war Martin Luthers Job. Seine Bibelübersetzung, unlängst überarbeitet auf den Markt gekommen, rechnet sich für die evangelischen Kirchen bis heute – und von dem Rummel um die Werbe-Ikone Luther im Lutherjahr 2017 profitieren sie sowieso.
Die Lutherbibel ist seit 500 Jahren ein „Premiumprodukt“. Luther verkauft sich gut als Begründer oder Promoter des Hochdeutschen; rentiert hat sich sein Tun auch für die Fürsten. Die wollten einen eigenen, von Kaiser und Papst unabhängigen Laden aufmachen, und Luther hat geliefert. Keine Frage: Die protestantischen Landesherren waren die Gewinner der Reformation.
Luther war ein Mann des Mittelalters, der das anbrechende Zeitalter der Geldwirtschaft nicht begriff. Sein Deutsch bezeugt es, es enthält kaum Wörter und Redensarten aus der Welt des Schachers. Stattdessen schmälte er ein ums andere Mal den „Abgott Mammon“ (zum Beispiel 1541 in der „Warnung“ an die Drucker seiner Bibel). Der aber dringt seit über 100 Jahren – zuerst unter dem Etikett Kaufmannssprache, heute als Business-Deutsch gelabelt – mit Macht in die allgemeine Kommunikation.
Sprachliche Kampfzone
Weil das kapitalistische Handeln und Denken mehr und mehr das Dasein der Leut’ formt, formt es mehr und mehr ihre Sprache. Die Beispiele sind banal, kaum jemand stört sich noch an ihnen: SPD-Generalsekretärin „Katarina Barley soll die sozialdemokratische Politik“, siehe oben, „verkaufen“ (taz). Olympische Spiele sind ein, siehe oben, „Premiumprodukt“, so IOC-Präsident Thomas Bach. „Verkäufer, Dozenten, Sozialarbeiter können durch neurolinguistisches Programmieren“, siehe oben, „profitieren“, lockt landsiedel-seminare.de. Innenminister Thomas de Maizière plädiert unverblümt für ein „Zuwanderungsmarketing“, während die unabhängige und überparteiliche Presse unverhohlen zugibt, „Produkte zu entwickeln“, um, so das Göttinger Tageblatt, „das GT noch stärker in der Wirtschaft zu verankern“.
Infolge der „Ausweitung der Kampfzone“ (Michel Houellebecq) durchdringt die Ökonomie alle Bereiche. Markenkern allen Wirtschaftens ist der Profit, der Gewinn. Ergo breitet sich der auch verbal aus, etwa in der Politik: „Seine Partei gehöre zu den Gewinnern“, glaubt Geert Wilders der taz zufolge; in Peru „steht Kuczynski als Gewinner der Stichwahl ums Präsidentenamt fest“ (taz); der Spiegel weiß, „warum sich Peking für den wahren Gewinner der US-Wahl hält“.
Gewinner allerorten
Schon junge Leute wollen nichts mehr als „einmal im Leben ein Gewinner sein!“ (Fernsehsender One). Sportler sind es. Deshalb treffen im Halbfinale die „Gewinner der Viertelfinalspiele“ aufeinander (ZDF-Text); das wichtigste Golfturnier der Welt, das Masters, sieht als „Gewinner Danny Willett“ (taz); Schachpartien haben neuerdings einen „Gewinner“ (de.chessbase.com), und im Fußball gibt es den „Champions-League-Gewinner“ (Göttinger Tageblatt) – Sieg und Meisterschaft sind eben nicht der wahre Ziel und Zweck des Spiels, sondern nur das Mittel, um Gewinnst zu machen.
Versteht sich, dass Geldmaschinen wie „Promi Big Brother“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ einen „Gewinner“ haben (Bunte). Überraschender schon, was Rocko Schamoni in seinem Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ erzählt: „Alle zwanzig Minuten gibt’s irgendwo Gerempel. Wir fangen an, auf Gewinner bei Schlägereien zu setzen.“ Vermutlich raucht der Gewinner auch keine Siegerzigarre, sondern lieber eine „Gewinner-Havanna“ (taz).
Das ominöse Wort war mal beschränkt auf Lottogewinner und erfolgreiche Teilnehmer von Preisausschreiben (eben „Gewinnspielen“). Jetzt stempelt es jedweden Erfolg zur merkantilen Leistung. Wie ist es dann mit dem Misserfolg? Nun, Ende 2016 schaute der Formel-1-Pilot Nico Rosberg zurück auf „schwere Verluste in der Vergangenheit“. Er meinte die früheren Niederlagen gegen seinen Rivalen David Hamilton. Schmerzlich waren die also vor allem finanziell.
Schwieriger Sieger
Wie Rosberg ist der Kapitalismus auf der „Gewinnerstraße“ (taz); es gewinnt, wer das „Winner-Gen“ (Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner) besitzt. Die englische Sprache besitzt es. Der „Gewinner“ verdankt sich ihrer Hilfestellung, außerdem wohl dem Unbehagen am irgendwie kriegerischen (und damit den eigenen Konkurrenzgeist unangenehm bloßstellenden) „Sieg“ – sowie dem schlichten Wunsch nach Simplizität: Es ist einfach zu schwierig, „Sieger“ zu sagen, wenn jemand einen Wahlkampf, ein Spiel, einen Preis in einem Wettbewerb „gewonnen“ hat. Also triumphiert der Gewinner sogar im Duden und im Lexikon: „Die Vorsitzende des Sportvereins überreichte den Gewinnern der Leichtathletikwettbewerbe ihre Pokale“, lautet ein Beispielsatz auf de.wiktionary.org; den „Gewinner eines sportlichen Wettkampfs“ kennt duden.de.
Wäre es da nicht doch angebracht, die Lutherbibel endlich zu modernisieren? Schließlich sind die Kirchen große Wirtschaftsunternehmen. Denn dann hieße es im Alten Testament: „Aber der Gewinn kommt vom HErrn“ (Die Sprüche Salomons); und im Neuen: „Aber Gott sei gedankt, der uns allezeit Gewinn gibt in Christo“ (2. Korintherbrief).
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