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Die WahrheitZollstock statt Schlagstock

Des Radeln ist des Iren Lust – oder etwa doch nicht? In Dublin zumindest geht es diesbezüglich ans Eingemachte.

M it einer Pistole geht es schneller, aber per Rad ist es sicherer. Wer seinem Leben ein Ende setzen will, muss in Dublin aufs Rad steigen. Im Schnitt erwischt es einen Radler pro Monat.

Das sei zu viel, findet die Regierungspartei Fine Gael. Sie will ein Gesetz initiieren, das Autofahrern vorschreibt, beim Überholen eines Radfahrers mit Tempo 50 oder schneller mindestens anderthalb Meter Abstand zu halten. Fährt man langsamer, darf man sich dem Rad bis auf einen Meter nähern. Die Polizei soll ihre Schlagstöcke gegen Zollstöcke eintauschen, um gegen die unerwünschte Annäherung vorzugehen.

Sünder müssen 80 Euro zahlen und erhalten drei Strafpunkte. Zahlen sie nicht fristgemäß, so dass die Sache vor Gericht geht, müssen sie mit 1.500 Euro Strafe und fünf Punkten rechnen. Die meisten Unfälle passieren in den Monaten Mai bis September zwischen sechs und sieben Uhr morgens und vier und fünf Uhr abends, hat eine teure Langzeituntersuchung ergeben. Tatsächlich? In den Sommermonaten radeln offenbar mehr Menschen, und im Berufsverkehr scheinen die meisten unterwegs zu sein. Wer hätte das gedacht.

Angeblich wurden in 40 Prozent der Unfälle die Radfahrer auf freier Strecke hinterrücks von einem Autofahrer über den Haufen gefahren. Das liegt an den abenteuerlichen Radwegen in Dublin. Sie bestehen aus etwas brauner Farbe auf der Busspur. Diese Busspuren müssten fast fünf Meter breit sein, damit ein Bus nach Verabschiedung des Gesetzes überholen dürfte. Komischerweise steht Dublin im Copenhaganize-Index für radfreundliche Städte an elfter Stelle, gleich nach Berlin.

Die Radfahrer-Organisationen begrüßen die Gesetzesinitiative. Aber sicherheitshalber ergreifen Radfahrer selbst Maßnahmen, um nicht von Autofahrern erlegt zu werden. Sie stürzen sich in der Dunkelheit ohne Beleuchtung in das Getümmel und hoffen, von den motorisierten Verkehrsteilnehmern nicht bemerkt zu werden. So können sie sich unbehelligt durchschlängeln.

Dabei nehmen sie Strafen in Kauf: Im Jahr müssen mehr als tausend Radfahrer Bußgeld zahlen, weil sie ohne Licht fahren oder rote Ampeln ignorieren. Es gibt keinen einzigen Radfahrer, der Ampeln ernst nimmt. Stattdessen warten sie auf eine Lücke im Querverkehr, um über die Kreuzung zu huschen. Zur Not nehmen sie einen Umweg über den Bürgersteig und klingeln das Fußvolk zur Seite. Wozu absteigen? Rollstuhlfahrer dürfen ja auch Bürgersteige benutzen und müssen ihren Untersatz nicht schieben.

Auf dem Land gibt es auch Radwege. Den sinnlosesten findet man in der Grafschaft Galway im Inselwesten. Außerhalb von Ballinderreen, der „Stadt des Eichenwäldchens“, wie die irische Bezeichnung für die baumlose Öde lautet, beginnt aus heiterem Himmel ein Radweg. Genauso plötzlich endet er nach einem Kilometer, und die Radfahrer müssen wieder auf die Landstraße einbiegen. Vermutlich besitzt ein Lokalpolitiker eine Straßenbaufirma und hatte noch etwas Asphalt übrig.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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