Die Wahrheit: Der Wutluther
Martin sieht rot und haut ein paar Dogmen raus. Aber was steht tatsächlich in den Thesen des Reformators? Die Wahrheit deckt es schonungslos auf.
Wenn man einen Evangelen nach seiner Lieblingsthese fragt, wird mancher antworten: „Am liebsten habe ich die These, wo Bruder Martin dem Papst einmal so richtig die Meinung geigt. Ist das nicht die These 90?“ Gut getippt, Gläubiger. Denn Luther musste sich erst einmal richtig warm schimpfen, und das dauerte einige Thesen.
Alles fängt ganz harmlos an: „Gott zum Gruße, tut Busse!“ (These 1). Rasch kommt Luther auf Betriebstemperatur: „Sackzement und Sakrament, man büßt nicht ohne Büßerhemd!“ (These 2), und dann geißelt er munter drauflos: „Buße ohne Marter des Fleisches ist unbußmäßig!“ (These 3 und Spaß dabei) „Selbstverachtung, Seelenpein? Guter Einstieg, komm’ Se rein!“ (These 4 und ab dafür). Das klingt alles wie eine Einladung zu einer Sadomasoparty, aber das gab es ja damals noch nicht. Und wie ist Gott so? „Gott vergibt, Django nie!“ (These 6).
Dann knöpft sich Luther erst mal das Personal vor. Die Priester sind „dumm und übel, blöd wie Kübel“. (These 7). Die Bischöfe? „Faule Männer, alles Penner!“ (These 13). Und ihr Vorgesetzter, der Papst? Kein ganz schlechter Mann: „Der Papst ist gar nicht zu verachten, wenn wir uns auch jüngst verkrachten.“ (These 38). Warum so milde? Bruder Martin weiß natürlich, wer den Bann ausspricht.
Der Tod kommt nicht so gut weg: „Der Tod ist ein ziemlicher Idiot.“ (These 13). Diese These sollte Luther dann am Ende noch bereuen, denn der Tod ist ähnlich wie Django. Er vergisst nie! Und erst recht keinen Krawallbruder wie den Eislebener Papistenfresser.
Und was Luther gar nicht abkann, ist das Fegefeuer: „Wenn ich etwas geißeln will, so ist das dieser Seelengrill!“, ereifert sich der Thesenschmied (These 18). Nur eins kann er noch weniger ab als das Fegefeuer: das leidige Ablasswesen. Wenn der Papst großspurig tönt: „Die Seele aus dem Feuer springt, wenn das Geld im Kasten klingt“, bringt er Luther damit auf Hundertachtzig: „Gewinn- und Habgier nehmen zu, lasst ab vom Ablass immerzu!“ (These 28).
Genau! So kennen wir Bruder Martin! Und was ist mit den Ablassbriefen? „Ablassbriefe und alle Formen von Ablassbrieffreundschaften und alle, die nicht ablassen vom Ablasswesen, sind des Teufels!“ (These 32).
Dann nimmt Luther erst mal das Tempo raus, es folgt der lange ruhige Thesenfluss im Mittelteil. Quasi die nützliche Stiftung-Warentest-Abteilung: „Vor dem Ablasskauf an der Kirchentür muss ich strikt abraten“ (These 49), mahnt er .
Doch wenig später gehen dem cholerischen Luther schon wieder die Kirchenpferde durch und er beschimpft den Papst: „Gib uns unser Geld zurück, verkauf den Dom, du eitler Dieb!“ (These 51). Und weiter: „Verkauf deine Basilika (den Petersdom, der Übersetzer), denn Martin Hood ist wieder da!“, ereifert sich der aufgebrachte Wutbürger Luther.
In seinem Furor wird Bruder Martin zum Thesenschinder, denn im Folgenden wird jeder Halbsatz zur These. Das ist nur zu verständlich, denn Luther wollte über die magische Zahl 72 der religiösen Konkurrenz kommen, was ihm ja auch locker gelingen sollte.
Das Kreuz im Papstwappen ist Blasphemie
Es wurde jedenfalls Zeit für Luther, sich in seinen finalen Furor zu steigern: „Wer glaubt, der Papst könnte den Vergewaltiger Mariens absolvieren, der muss verrückt sein!“ (starker Tobak in These 75), gibt Luther den groben Trump. Außerdem ist so ein Vergewaltigungsfall sowieso unmöglich, postuliert Luther. Aber man kann es ja mal derart in den Raum stellen, um sogleich enthemmt fortzuberserkern: „Wir (!) sagen dagegen, die päpstlichen Ablässe können nicht mal die kleinste lässliche Schuld tilgen.“ (These 76). Ätschibätschi! Und das Kreuz im Papstwappen soll sein wie das Kreuz Christi? „Niemals nie, das ist schiere Blasphemie!“ (These 79). „Wer so was sagt, der soll zur Rechenschaft gezogen werden. Und zwar mit 4 Pferden in 4 verschiedene Richtungen!“ (These 80), schäumt Luther.
Das furiose Finale kündigt sich mit den „Wiederum-Thesen“ an (ab These 83). Die sehen dann so aus: „Wiederum, wiederum, der Ablasspapst ist grottendumm!“ (These 90). Kühn gesprochen, Mönchlein! Gott vergibt. Aber der Papst?
Der Pontifex kann zumindest froh sein, dass die Thesen 95 bis 100 verschwunden sind, denn was da zu lesen war, soll sogar für das Mittelalter zu deftig gewesen sein! Gut ist deshalb, dass der Kritiker nicht schreiben muss: „Zum guten Schluss schrieb Luther Stuss!“
Seit 25 Jahren erscheint die Wahrheit als einzige Satireseite einer deutschen Zeitung – das wollen wir feiern!
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