Die Wahrheit: Schröder und die edlen Tropfen
Einmal im Leben Boulevardreporter spielen. Wo man doch zufällig bei einem tränenreichen Ereignis dabei ist, wie gemacht für die Yellow Press.
E inmal wäre ich fast Yellow-Press-Reporter geworden, und das kam so. An einem trübtassigen Sonntag im März vor genau zwanzig Jahren promenierte ich in weiblicher Begleitung an den Gestaden des Hannöverschen Maschsees entlang, um hernach dem Sprengel Museum einen Besuch abzustatten. Es war einer dieser Sonntage, arschkalt und zutiefst niedersächsisch, wie gemacht, um a) eine Schachtel „Edle Tropfen in Nuss“ zu verkosten und danach mit der Familienplanung voranzuschreiten oder eben b) sich die aktuelle Ausstellung „Sex & Crime“ anzuschauen.
Ich war für a), musste aber mit ins Museum. Als wir, nach einstündiger Maschsee-Tristesse reif für ein paar warme Gedanken, an der Sprengel-Cafeteria vorbei zum Haupteingang lustwandelten, saß da am Fenster mein von Ferne geliebter Landesvater, Genosse Gerhard Schröder. Knapp zwei Jahre später war er Kanzler und spülte den Sozialstaat schneller im Klo runter, als du Agenda 2010 sagen konntest. Damals aber galt er als einzige Alternative, um den dicken Pfälzer abzulösen, und nötigte einem Proleten wie mir insofern Respekt ab, als er beinahe schon glaubhaft versichern konnte, er habe als Kind „jahrelang Fensterkitt gefressen“. Man wird also vielleicht verstehen, dass ich für einen Moment meine sprichwörtliche Nonchalance verlor.
„Schau mal“, rief ich aufgeregt, „da ist ja mein von Ferne geliebter Landesvater.“ Aber meine Begleitung blieb ganz cool. „Na klar isser das. Und wo er ist, da ist auch Super-Hillu nicht weit.“ Tatsächlich saß sie ihm gleich gegenüber. Bei einem „Pharisärer“. Oder wie man das alkoholische Heißgetränk aus gesüßtem Kaffee, braunem Rum und einer Haube aus Schlagsahne in Politikergattinenkreisen so nennt.
„Na, die kucken aber!“, sagte die Frau an meiner Seite erschrocken. Und hatte recht. Sein Gesicht war verhärtet wie ein komplett heruntergelassener eiserner Vorhang, und er hatte diesen verschlagenen, zugleich ultrabrutalen, KGB-mäßigen Blick drauf. Er sah aus wie ein lupenreiner russischer Demokrat. Und seine Gattin Hiltrud? „Die hat doch geheult“, schoss es meiner Begleitung erstaunt wie erbarmungslos heraus. Etwas mehr Empathie hätte ich gut gefunden, aber ich schwieg. Plan a) war noch nicht vom Tisch.
Wir wollten beide nicht aufdringlich erscheinen und lösten nach einer Weile unsere plattgedrückten Nasen von der Scheibe, um uns etwas Kunst anzusehen oder zumindest „Sex & Crime“, aber die Gedanken wanderten immer wieder zurück zu dieser Szene. Am Abend lösten die Lokalnachrichten das Rätsel auf. Es gab nun ein niedersächsisches Traumpaar weniger.
Am 25.11.2016 feiern wir im Heimathafen Neukölln in Berlin – Seien Sie dabei.
An einem geisttötenden Märzwochenende in der Sprengel-Cafeteria war die Liebe verduftet. Und ich war sozusagen live dabei. Ich witterte meine Chance und begann schon im Geiste einen schamlosen Schmodder-Artikel für die Bunte runterzutippen. Aber dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie zierliche Frauenhände zärtlich „Edle Tropfen in Nuss“ vom Cellophan befreiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen