Die Wahrheit: Feuertonne der Glückseligkeit
Dem Reiz herrlich vor sich hinschwelender Mülleimer erliegen nicht nur picklige Teenager, sondern auch besockte Badelatschenträger.
I m Spätsommer gibt es kaum etwas Schöneres als einen schwelenden öffentlichen Mülleimer. Das dachten sich vermutlich die drei blässlichen Mittelstufenschüler, denen ich neulich auf dem Heimweg durch den Frankfurter Grüngürtel begegnete. Andächtig starrten sie mit hängenden, nach vorn geschobenen Unterkiefern und trüben Augen in die rauchende Feuerstelle. Niemand sprach, während sich das Licht der glühenden Pizzakartons an ihrer fettigen Haut brach. Erst als Aschefetzen aufstiegen, kam Bewegung in die illustre Runde: neue Energybrause öffnen, abgehackt und dumpf lachen, zweimal beherzt gegen die Tonne treten. Was für ein Tohuwabohu.
Trotz mangelnden Elans lässt sich der Reiz nachvollziehen. Brennende Tonnen – sie umschwebt eine rebellische Aura und ein düster-wilder Hauch von prickeliger Gefahr. Daran ändert manchmal auch die Kulisse nichts, die in diesem Fall aus Sonne sowie einigen Enten- und Menschenfamilien bestand. Besser passen sogenannte Ghettotonnen in die Bronx, auf Revolutionen oder Festivals, aber wenn das alles zu weit weg ist, muss eben ein unspelunkiger Park für den Leben-am-Limit-Moment herhalten.
Noch besser ist es, sich eine transportable Tonne für unterwegs zu basteln, etwa aus einem alten Bierfass. Das ist ganz leicht: Deckel absägen, Lüftungslöcher bohren, mit trockenem Holz füllen und dann anzünden – natürlich nur in feuerfester Umgebung. Ein kleines Fünfliterfässchen genügt vollkommen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und es geht sogar noch einfacher: Der oder die Feuerlustige schaut im Internet vorbei. Dort gibt es regentonnengroße Profimodelle in allerlei Farben schon ab 40 Euro.
Aber Vorsicht! Unter demselben Suchbegriff gibt es auch groben Unfug. Wer will schon ein Fass mit „Schaf-Motiv auf der stabilen Fronttür, das ein stimmungsvolles Flammenbild auf Deinem Balkon erzeugt“? Nur wahre Haderlumpen*innen bestellen so etwas. Mehr über sie erfährt man bei den Kaufempfehlungen. Kunden, die diesen Artikel kaufen, interessieren sich außerdem für Schneckenkorn, ein Basketballkorbset, Edelstahl-Grillroste, Kaffeepads und hellblaue Badelatschen. Es handelt sich offenbar um sportliche Genussmenschen mit eigenem Garten und Sinn für Bequemlichkeit, um es im Kontaktanzeigenjargon auszudrücken. In der Freizeit gehen sie vielleicht gerne auf den Rummel zum Autoscooter. Dort stehen häufiger besockte Badelatschenträger herum, das habe ich beobachtet.
Die beiden Hobbies lassen sich nur nicht gut kombinieren. Autoscooter sind Fahrgeschäfte und damit „Fliegende Bauten“. In diesen sind Ghettotonnen verboten. Laut hessischer Baurichtlinie müssen „Dekorationen mindestens schwerentflammbar sein“ und „Abfallbehälter müssen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen und dicht schließende Deckel haben“. Mit Ghettotonne durch das Fahrgeschäft zu flanieren ist leider nicht drin. Das wäre der Bande aus dem Park aber wahrscheinlich sowieso zu anstrengend.
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