Die Wahrheit: Schief ist Trumpf
Der Deutsche lugt nur ungern aus seinem sprachlichen Fettnapf hervor. Deswegen ist ihm ein schiefes Bild das liebste Stilmittel.
Die Tennisspielerin Maria Scharapowa triumphierte der taz zufolge einst „im Sand von Paris“, während eine Doku im rbb-Videotext „eine Reise durch die Hollywood-Legenden des Western“ wie John Wayne oder James Stewart versprach. Merkwürdig verhielt sich laut taz auch ein Kambodschaner, der „am Sterbebett“ seinen letzten Schnaufer tat, also vielleicht auf dem Bettvorleger.
Der Mensch ist ein Augentier, ausgenommen der deutsche. Er sieht nicht, was er sagt, stolpert von einem sprachlichen Fettnapf in den nächsten, und immer wieder zeitigt die Verwechslung von Papier und Realität schöne Ergebnisse.
„Oberhalb des Ärmelkanals entsteht ein neuer Staat. Man könnte ihn Kleinbritannien nennen“, halluziniert der Spiegel eine Fata Morgana – kein Hans Guckindieluft ist hingegen der Lyriker Joachim Sartorius, er gräbt tiefer und kennt ein „Afrika unterhalb der Sahara“. Die Leute haben einen Atlas anstelle der Wirklichkeit vor Augen.
Was außerdem, wenn sie, wie man hin und wieder liest, Österreich ein „schnitzelförmiges Land“ nennen? Ein Schnitzel sicherlich nicht, weil kaum eines diese Form hat, es hat auch keine Knochen; Österreich aber: Alpen. Richtig heißt es „kotelettförmiges Land“, und so nannte es Bernd Eilert einst in der Titanic.
Bedenkliche Kippphänomene
„Sprich, damit ich dich sehe“, bat Sokrates. Keine 2.500 Jahre später muss es heißen: „Sprich, damit ich sehe, dass du einen Knick in der Optik hast.“ Da wird Marcel Duchamps berühmte „Fontäne“ zur Spritzpistole, nämlich als ein „um 90 Grad gekipptes Urinal“ beschrieben; ein anderes Kippphänomen liegt vor, wenn „bei den Einstiegsgehältern ein Nord-Süd- und ein Ost-West-Gefälle“ konstatiert wird, weil „ein Absolvent in München mehr als ein Kollege in Schwerin verdient“, es beim Gefälle also bergauf geht.
Eine alte Bauernregel, um solchen Ausrutschern vorzubeugen, lautet: „Das muss man sich mal vorstellen!“ Dann würde keiner, der an die vergifteten Flüsse von früher erinnert, behaupten, dass „die Fische im Rhein kopfüber schwammen“ (wie im Absatz zuvor: taz). Und Angela Merkel, von Jürgen Roth in seinem Hörbuch „,Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!' Lügen und Lumpereien aus siebzig Jahren deutscher Politik“ mit Glanzleistungen zitiert wie „Damit es in Deutschland besser geht, werden die Weichen aufwärts gestellt“, Angela Merkel würde – doch nein, bei so viel genialer Doofheit gibt’s nur eines: genau so weiterquaken! Und sich beispielsweise, um ein beliebtes Verfahren vorzuführen, kurz, nämlich zu kurz fassen: Als „die zerrissene Frau“ porträtiert Kontext eine türkischstämmige Integrationsministerin, die folglich nicht innerlich zerrissen, sondern körperlich zerfetzt ist; „das zierliche Mädchen nimmt ihren Glauben sehr ernst und zerreißt zwischen den Anforderungen von Mutter und Pfarrer“, schreibt die Versandfirma Zweitausendeins im Reklametext für einen Spielfilm.
Ein Chorleiter wie ein Hefeteig
Ähnlich wirbt der Videotext von Einsplus für ein Fernsehspiel: „Zwischen der stolzen Frau und dem gebrochenen Quartalstrinker kommt es zur vorsichtigen Annäherung“ – vielleicht gelingt es der Frau ja, den Säufer zusammenzukleben. Besser dran ist jedenfalls in einem anderen Videotext „Thomas Schäfer. Selbstbewusst und souverän tritt er vor die Schüler. Als Chorleiter geht der Mathematiklehrer auf.“
Man staunt über die zerrissenen, gebrochenen und aufgehenden Menschen, aber die Medien erschaffen halt ihre eigene Wirklichkeit. „Seine Miniaturen mit dem reduzierten Strich“, heißt es über den Zeichner Robin Thiesmeyer in der taz, „geben den abgehangenen Erwachsenen die großen Kinderaugen wieder zurück.“
Es ist eben eine besondere Wirklichkeit, die von einer besonderen Sprache abgespiegelt werden muss, gibt es in dieser Welt doch „Menschen, die gewogen morgens um sechs Uhr schon grüßen“, außerdem „getrennte Väter“, die Alimente zahlen, und eine Frau, die über „Kriegskinder-Literatur“ arbeiten will und erkennt, „wie stark sie selbst noch verwoben ist“.
Trotz allem nüchtern bleiben
Entsprechend gewogen grüßt die taz jeden Morgen ihre abgehangenen Abonnenten, so stark sie noch verwoben sein mögen. Andere Medien grüßen ihr Publikum mit Katachresen, in denen eigentliche und übertragene Bedeutung so verwoben sind, dass es die Leut’ schier zerreißt: „Windrad spaltet Nachbarn“, macht die Stuttgarter Zeitung auf eine tödliche Gefahr der Energiewende aufmerksam; „Trockenheit verhagelt Ernte“ – unerwartete Folgen des Klimawandels scheinen im Anzeigenblättchen Hallo auf. Was tun bei so viel Unglück? Sich betrinken? Warum nicht – indes, ein Weinhändler wirbt mit „Würze und Frucht vom Stiefelabsatz“. Darum nicht!
Bleibe man also nüchtern und stelle lieber die Weichen für die Sprache aufwärts.
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