Die Wahrheit: Verboten ist, was nicht gefällt

Die wahre Reportage: Zu Besuch bei der UN-Organisation für Vorschriften und Verbote (UNRAB) im trüben Köln-Deutz.

Illustration: Ulrike Haseloff

Es ist heiß und stickig hier unten. Ein Schild zeigt an, dass das Betreiben von Klimaanlagen verboten ist. Wolfram Wehler fächelt sich mit einem schweren Leitz-Ordner abgestandene Kellerluft zu, dann nimmt er Rasso, einen reinrassigen Saarländer Sennenhund, an die ganz kurze Leine. Nur minimal lassen die schmalen Fenster ein wenig des trüben Tageslichts von Köln-Deutz herein. „Unsere Burkafenster der Firma Hornbach erfüllen exakt die Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Fernsehrates von ARD und ZDF zum strahlungsfreien Wellenempfang“, berichtet Wehler leicht abgehackt doch voller Stolz.

Als Bürokrat vom schlohweiß gekämmten Scheitel bis zu den norditalienischen Ledersohlen hat er immer alles, wenn schon nicht in der Aktentasche, dann im Kopf. Ein buckeliger Referent schiebt Wehler eine handschriftliche Liste mit vielen Ausrufezeichen durch eine vergitterte Durchreiche. „Ah, die neuen Abort-Vorschriften aus Kanada, sieh einer an. Männer öffentlich nur großes Geschäft, Frauen nur Pipi im Stehen!“ Wehler ist für seine kargen Gemütsverhältnisse fast aus dem Häuschen und setzt exakt oben links auf der Liste ein Häkchen.

Hier in Köln-Deutz liegt der, für die Öffentlichkeit, die man schlicht aussperrte, bis vor Kurzem nicht zugängliche Sitz der UN-Organisation „Vorschriften und Verbote“, kurz UNRAB, für Englisch „Rules and Bans“. Die UNRAB ist der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterstellt und befindet sich seit der Währungsreform 1948 am rechten Rheinufer in einem unscheinbaren Flachbau, der die Form einer Büroklammer hat.

Erst Weihnachten 2015, so erklärt uns Wehler, der die Behörde seit dem Wunder von Bern 1954 leitet und der sich durch das jahrzehntelange Sprechverbot gegenüber Medienvertretern teilweise nur schleppend artikuliert, erst voriges Weihnachten hätten wiedergefundene Geheimdokumente unter dem Kölner Bahnhofsvorplatz enthüllt, dass sich damals auch Offenbach am Main und Flensburg für den Sitz der UNRAB beworben hatten – und das, obwohl die Bundesrepublik erst 1973 Mitglied der UNO wurde.

Köln-Deutz statt Flensburg


Nach dem Zuschlag für Köln-Deutz gab es für Flensburg allerdings ein adäquates Trostpflaster: die Bußgeldstelle inklusive Kraftfahrzeugbundesamt. „Offenbach ging bekanntlich leer aus“, referiert Wehler strammstehend. „Außerdem verbot der frühere UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim später den Offenbachern sämtliche Verschönerungsmaßnahmen auf immer.“ Ob darunter auch eine möglicherweise von den Stadtvätern und -müttern angestrebte Umbenennung in Frankfurt am Main fällt, wollen wir gar nicht wissen, denn wir sind ja schließlich hier, um den Sitz der UNRAB in Augenschein zu nehmen.



Was wir allerdings schon wissen wollen, ist der Grund für die plötzliche Bereitschaft der UNRAB, montags mit den Medien zusammenzuarbeiten und dienstags von 15 bis 17 Uhr auch für Laufkundschaft geöffnet zu haben. Wehler, Herr über 3.789 Angestellte, kratzt sich akkurat am Kopf. „Die Vorschrift kam direkt vom Hudson River, direkt aus dem Büro von Ban Ki Moon. Ohne Angabe von Gründen, nur mit dem vielsprachigen Vermerk ‚Jederzeit wieder einkassierbar‘“.

Da bliebe seiner „aus guten Gründen sperrigen Behörde“ nichts anderes übrig, „als mit Leuten wie Ihnen zu reden, auch wenn wir hier immerzu mit dem Sortieren, Einordnen und schließlich Normieren von Vorschriften und Verboten aus der ganzen Welt beschäftigt sind.“

Weltnorm – gelle?

Wehler klappt die Hacken samt norditalienischen Ledersohlen zusammen: „Alles, was es durch den Behördenwust von EU, ECOCERT, BRICS-Staaten und FC Bayern zu uns geschafft hat, wird ohne Rücksicht auf etwaige Befindlichkeiten eines der 193 UNO-Mitgliedsländer Weltvorschrift oder gleich Weltverbot. Mit anderen Worten – Weltnorm, gelle?“



Die plötzliche, befremdlich saloppe Art des 92-Jährigen erklären wir uns damit, dass Wehler just in diesem Moment die schwere Kassettentür aus Floppy Discs zum Kasino der UNRAB aufstößt. „Hier wird nicht gespielt, junge Frau, das ist bei Behörden ja grundsätzlich strengstens verboten, hier wird gespachtelt.“ Jetzt verstehen wir: Im Kasino, wo das funzelige Tageslicht von Köln-Deutz partout nicht mehr hineindrängt, denn hier gibt es auch keine Burkafenster von Hornbach mehr, im Kasino lässt der UNRABler kontrolliert die Sau raus.

Das ausgehängte Menü liest sich als Best of aller verbotenen Zusatzstoffe: Spreewaldgurkenstampf mit Hydroxybenzoesäurepropylester und Ameisensäure an falschem Hasen sind nur zwei der Mittags-Highlights bei der UNRAB, nicht zu vergessen die Kaliumformiatküchelchen. Aus dem Trinkwasserbrunnen in der Mitte des muffigen Raumes tröpfelt gratis Wasser in Form von Chloro.

Au revoir Ramadan!


Dergestalt abgefüllt und ein wenig schläfrig ob der vielen amtlichen Eindrücke, starten wir anschließend eine Abschlussrunde mit Wolfram Wehler, der montags niemals Mittag macht. „Da faste ich, auch wenn die Franzosen das seit letztem Freitag, und damit weltweit, unter dem Stichwort ‚Au revoir Ramadan!‘ verboten haben. Überhaupt, les baguettes, die machen uns unbotmäßig Arbeit in letzter Zeit, o là, là, ça va pas, jedenfalls nicht so schnell, wir kommen gar nicht mehr hinterher!“



Mit scharfen Worten gestattet Wehler seinem Begleithund Rasso das Schnüffeln zwischen Hunderte Meter langen Dokumentenpaletten. Wie Käsespätzle ziehen sie sich durch die durchweg 1,75 Meter hohen Kellerräume hinter dem Kasino. Mit eingezogenem, leicht hängendem Kopf versuchen wir, das Ablagesystem der UNRAB zu verstehen. Keine Hängeregistratur – das wenigstens erkennen wir sofort. Aber was dann? „Abgelegte Amtsblätter, Amtsblätter und noch mal Amtsblätter, und die in den 457 Sprachen der 193 Mitgliedstaaten der UNO seit 1948. Sie verstehen doch, oder?“, fragt Wehler. „Inklusive aller jemals erlassenen Vorschriften und Verbote.“

50 Cent Toilettengebühr!

Wir nicken wie jemand, der 457 Sprachen fließend spricht, allerdings mit noch immer hängendem Kopf. In einem unbeobachteten Moment, Wehler drischt kurz auf Rasso ein, der sein Bein verbotenerweise an einem aufgelassenen Nikotinstützpunkt gehoben hat, stibitzen wir eines der vergilbten Amtsblätter, um später investigativ darüber berichten zu können. Potzblitz aber auch – ausgerechnet die deutsche Ausgabe!



Wehler merkt nichts von dem Klau, im Gegenteil, er droht uns mit weiteren vier Stunden des begleiteten Kontrollgangs. Wir aber haben genug von der UNRAB gesehen und verbieten uns einen weiteren Durchmarsch. Charmant lächeln wir den lüstern greisenhaften Behördenvertreter an und bitten um Erlaubnis, ein Örtchen aufzusuchen.

Wehler verlangt 50 Cent für „Wasser und Klopapier“. Wir verschwinden nach quittierter Bezahlung in einer Art WC-Verlies, Letzteres allerdings mit einem Burkafenster von Hornbach. Behände zwingen wir uns, nach ordnungsgemäßer Erledigung unseres Geschäfts im Stehen, durch den gekippten Schlitz, holen einmal tief Luft. Und dann? Dann katapultieren wir uns olympiareif auf Höhe des winzigen UNRAB-Ausgangs. Erlaubt ist schließlich, was gefällt.

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