Die Wahrheit: Die fluchende Richterin

Wenn der Kadi zur Fäkalsprache greift, sind die sozialen Medien gleichmal stante pede begeistert.

Sie sei „eine ziemliche Fotze“, sagte John Hennigan zu Patricia Lynch. „Du bist selber eine ziemliche Fotze“, antwortete Lynch. Daraufhin brüllte Hennigan: „Fick dich doch selbst.“ Lynch meinte: „Du dich auch.“

Vermutlich finden solch gepflegte Unterhaltungen täglich in Tausenden Wohnstuben statt. Doch Hennigan und Lynch stritten vorvergangene Woche nicht zu Hause, sondern im Gerichtssaal der englischen Stadt Chelmsford. Hennigan war der Angeklagte, Lynch die Richterin. Hennigan, ein adipöser 50-Jähriger, hat ein langes Strafkonto.

Meistens ging es um Beleidigungen ethnischer Minderheiten, Drogenhandel, unerlaubten Waffenbesitz oder Körperverletzung. Als er voriges Jahr wegen eines Hitlergrußes vor Gericht stand, behauptete er, dass er in dem Wirtshaus lediglich seinen Arm gehoben habe, um das Wechselgeld vom Barkeeper zu kassieren.

Hennigan sei ein unglücklicher Mann, der unter Depressionen leide, erklärte sein Anwalt. Das beeindruckte Richterin Lynch nicht: Sie steckte ihn für anderthalb Jahre in den Knast. Daraufhin schlug Hennigan mit der Faust gegen die Glasscheibe neben der Anklagebank, reckte den Arm zum Nazigruß, schrie „Sieg Heil“ und sang „Vergast alle Juden“. Die Richterin meinte: „Wir sind alle sehr beeindruckt. Führt ihn ab.“

In den sozialen Medien wird Lynch seitdem als Heldin gefeiert. Einer meinte, dass die 64-Jährige in diesen Zeiten ein perfektes Rollenmodell für Kinder sei. Eine fluchende Richterin, die zur Fäkalsprache greift? Wie hätten die Kommentatoren reagiert, wenn es sich um einen Richter und eine Angeklagte gehandelt hätte?

Angehenden Richtern wird in der Ausbildung eingebläut, dass die zehn Schritte von der Tür zum Richterstuhl extrem wichtig seien. Sie dürfen nichts tragen und sich nicht umschauen, weil das unwürdig aussähe. Und sie müssen langsam laufen. Es gehe schließlich darum, die Angeklagten einzuschüchtern. Von wüsten Beschimpfungen ist in der Ausbildung nicht die Rede.

Hennigan ist sicherlich ein widerlicher Zeitgenosse. Aber diesmal war sein Vergehen vergleichsweise harmlos. Er hatte einer schwarzen Mutter erklärt, dass er nicht an gemischt­rassige Beziehungen glaube. Als sie nachfragte, sagte er, dass er weiße Kinder bevorzuge. Sie war geschockt und zeigte ihn an. Englische Richter schicken Leute gerne in den Knast, und Lynch gehört zu den eifrigsten. Wer bei ihr vor Gericht steht, kann seinen Schlafanzug getrost mitbringen.

Die Aufsichtsbehörde wird ihren kleinen Wutausbruch gegen Hennigan untersuchen. Lynch hätte die Sache auch eleganter lösen können. Als ein Angeklagter vor ein paar Jahren den Kadi in einem Londoner Gericht als Idiot beschimpfte, antwortete der: „Wenn ich nach Ihrer Verurteilung Feierabend habe, gehe ich schwimmen. Danach führe ich den Hund spazieren, bevor ich Essen für meine Familie koche. Sie jedoch werden die erste von vielen Nächten im Belmarsh-Gefängnis verbringen. Vielleicht fragen Sie sich dann, wer von uns beiden der Idiot ist.“

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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