Die Wahrheit: Endlich Schampus
Zum „Poetry Award“ auf dem Luxusdampfer „MS Europa“ kündigen sich auch ungebetene Gäste aus dem Literaturbetrieb an.
Als die Reederei Hapag-Lloyd neulich ihre Public-Relations-Offiziere anwies, per Pressemeldung öffentlich zu verbreiten, dass ihr Flagg- und Traumschiff „MS Europa“ bald vor der hochmögend als „Königin der Nordsee“ bezeichneten SUV-Verkehrsinsel Sylt kreuzt, damit „Prominente“ dort ihre „Dichtkunst“ bei einem „Poetry Award unter Beweis stellen“ mögen, den man in Kooperation mit der geistig bislang eher unscheinbaren Sylter Austernschenke „Sansibar“ anzurichten gedenke, waren die Folgen abzusehen.
Nun ist das Achterdeck des Luxusdampfers schon zwei Wochen vor der Veranstaltung überfüllt wie ein Flüchtlingsschlauchboot in der Ägäis, und ein Matrose versucht vergeblich, die blinden Passagiere mit einem Besen von Bord zu jagen. Denn kein Einziger der geschätzt hundert deutschen Dichter, die sich gerade vor dem Feger in Sicherheit bringen, steht auf der Passagierliste.
Sause ohne Literaten
„Irgendwie haben sich diese Typen an Bord geschlichen“, seufzt „MS Europa“-Unterhaltungschef Thorsten Schallner, der den beliebten „Poetry Award“ kuratiert. Denn anders als herkömmliche Literaturpreise kommt die maritime Sause eigentlich ohne Literaten aus.
Der „Poetry Award“ wird ja auch nicht in irgendeiner verranzten Bildungsstätte, sondern während einer, wie es vorab heißt, „legendären Partynacht an Bord des 5-Sterne-Plus-Schiffes“ vergeben, bei der Intellektuelle nur stören würden. Man muss sich dort ja auch keine verkniffene Laudatio des Vorjahressiegers anhören oder den Schaukämpfen unansehnlich alternder Kulturgockel beiwohnen, bevor es endlich Schampus gibt.
Stattdessen wurde der Dichter-Job wie immer an pflegeleichtes Kanonenfutter aus dem Schaustellergewerbe vergeben. Diesmal hört es auf die Namen Baumeister, Pallaske, Körner, Lubowski, Sigl, Pielhau und Wilms und soll ein Poem verfassen, in dem zwingend die lyrischen Schlüsselbegriffe „MS Europa“, „Sansibar“, „Sylt“ und „Sommerbrise“ verkommen müssen.
Erstaunlich ungustiös
Das ist zwar sogar für den branchenüblichen Marketing-Muff erstaunlich ungustiös, aber dafür entschädigt die „MS Europa“ ihren scheinprominenten Lyrik-Kader mit täglichen Champagnerduschen und eigenen Kabinensklaven zum Schikanieren und Liebhaben. Deswegen ist auch der ehemalige Sportreporterparodist Waldemar Hartmann mit von der Schiffspartie, wobei der Völler-Spezi wegen seiner einsilbig gerülpsten Weizenbier-Haikus und der berufsbedingten Unempfindlichkeit gegenüber sprachlicher Grausamkeit bei den Buchmachern als absoluter Topfavorit gilt.
Warum aber hat sich der lyrikfähige Teil des deutschen Literaturbetriebs fast in seiner Gesamtheit an Bord geschmuggelt und versucht auf Biegen und Brechen, am abgeschmackten Werbespiel teilzuhaben?
„Die Wirtschaft zahlt gut“
„Von irgendwas muss man ja leben“, erklärt Suhrkamp-Autor Marcel Beyer, der kürzlich mit einem dicken Literaturpreis ausgezeichnet wurde, das Preisgeld aber schon „verjuxt“ haben will. Auch der Altmeister im Schwer- und Schwurbelgedicht Durs Grünbein hat die Meldung gelesen und meldet nun Ansprüche an, weil er halt auf jeden Literaturpreis Ansprüche anmeldet. Sogar Romancier Rainald Goetz ist aufgetaucht, denn der ehemalige Klagenfurt-Schocker pflegt einen aufwendigen Lebensstil, der mit den Mitteln herkömmlicher Literaturförderung kaum zu finanzieren ist. „Die Wirtschaft zahlt gut“, weiß Goetz, der für seinen Business-Roman „Johann Holtrop“ tief in die Materie eingetaucht war.
„Klagenfurt ist eh fad“, urteilt eine als Lichtgestalt der Gossenpoesie gefeierte Österreicherin, die beim letzten Schaulesen wegen Humorverdachts mit den lächerlichen 7.000 Silberlingen eines Publikumspreises abgespeist wurde. Das nebenberufliche Baskenmützenmodel will es auf der „MS Europa“ „noch einmal richtig krachen lassen“, bevor es zurück ins Callcenter geht.
Natürlich haben sich auch Poetry Slammer unter die Dichter gemischt, aber die sind ja überall. Bloß Ulla Hahn ist nicht wegen des Geldes hier. „Ich will mich bloß mal wieder richtig volllaufen lassen“, betont die distinguierte Lyrikerin und kichert damenhaft.
Hart und gefühllos
„Ich hab es gerade noch an Bord geschafft, bevor sie die Kontrollen an der Gangway verschärft haben“, erzählt uns der Kölner Lyriker Jürgen Becker. Dann hechtet der über 80-Jährige hinter einen Liegestuhl, weil der Matrose der Dichterplage auf dem Achterdeck mit einem Hochdruckreiniger zu Leibe zu rücken beginnt.
Ungerührt schaut Elke Heidenreich zu, wie Kollege um Kollege in die Nordsee gespült wird. Mitleid verspürt sie keines. „Die Krise auf dem Buchmarkt macht uns alle hart und gefühllos“, sagt sie. Seit die große alte Dame des Literaturgequatsches ihren Buchempfehlungsbasar nur noch im Schweizer Fernsehen betreiben darf, haben sich ihre Einnahmen halbiert, schätzt die joviale Unternehmerin, die in diesem Jahr zur Jury gehört.
„Ich muss auch sehen, wo ich bleibe“, sagt Heidenreich. „Und Kreuzfahrt ist immer noch besser, als Hundelyrik bei einer Trockenfuttergala zu jurieren.“
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