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Die WahrheitOpa mit Schuss

Kolumne
von Frank Schäfer

Zu Weihnachten nach Hause zur Familie fahren? Wo die Eltern das Kinderzimmer wieder aufgebaut haben? Und Großvater wieder lebt? Hmmmm …

Und, wie sieht’s aus? Fährst du dieses Jahr nach Hause . . . Weihnachten?“

Er hatte bereits die dritte Feuerzangenbowle intus, und seine Nasenknolle bekam langsam eine Färbung, die nicht mehr nur mit dem niedrigen Thermometerstand zu erklären war. Wir standen mitten in einem riesigen Menschenpulk, alles gute Leute, die den Weihnachtsmarkt ebenfalls nutzten, um sich mit diesem wunderbaren Zuckerwasser einen anzukümmeln. Gegen die Kälte! Und vielleicht auch noch gegen dies und das.

„War doch schon Muttertag da!“ – „Na und?“ – „Nee, das zieht mich immer runter. Meine Eltern haben das alte Jugendzimmer wieder aufgebaut, mit den ganzen Kinderbüchern, Fußballpokalen und so. Wenn du da ins Bett gehst, bist du wieder dreizehn, ob du willst oder nicht, voriges Jahr habe ich sogar Karl May gelesen. Das muss aufhören.“

„Man kann ja ein Hotelzimmer nehmen.“ – „Da wirst du gleich enterbt. Letztes Jahr hat mich sowieso umgehauen . . . Meine Eltern und ich haben am zweiten Weihnachtstag einen langen Spaziergang gemacht. Wie man sich das vorstellt, richtig idyllisch, durch Schnee gestapft et cetera und trallala, in der Stadt geht das ja gar nicht, ist ja nur Schmiererei . . .

Nach zwei Stunden waren wir so durchgefroren, dass mein Vater vorschlug, ins Café Wiesengrund zu gehen. Das einzige Café im Ort. Meine Mutter motzt zwar, weil sie fürchtet, ihren selbstgebackenen Stollen nicht loszuwerden. Ich sehe es schon kommen, da essen wir doch wieder bis Ostern dran. Aber das war nur Alibi-Widerstand.

Wir also da rein, Kaffee und Kuchen bestellt, aufgewärmt, und dann sehe ich da ein paar Stellwände mit alten Schwarzweißfotos, eine Ausstellung zur Dorfhistorie. Jahrhundertwende, Weimarer Republik, drittes Reich . . . Überall diese ernsten Menschen, die man von alten Fotos kennt, und diese leeren Augen, unheimlich geradezu.

Die eine Wand aber ist voll mit Fußballaufnahmen aus den Zwanzigern und Dreißigern, und ein Typ kommt mir irgendwie bekannt vor, ist auch gleich auf mehreren Bildern zu sehen. Mitte zwanzig etwa und immer so ein melancholisches Lächeln auf dem Gesicht. Ich hole meine Mutter dazu, frage sie, ob sie den kennt, und sie hängt sich bei mir ein und meint dann ganz feierlich: ‚Das ist dein Opa!‘ “

„Das ist ja witzig“, sagte ich. Er schüttelte sich vor Kälte oder irgend etwas anderem. „Meinen Opa habe ich gar nicht kennengelernt. Der ist ja im Krieg geblieben. Irgendwo in Russland. Und dann siehst du ihn auf einmal voll im Saft und jünger als du selbst, Mann. So lebendig wie ich vermutlich nie war . . . Du kannst mich für ein Weichei halten, aber das ging mir durch und durch. Und dann dieses traurige Lächeln, als wäre das ganz allein für mich bestimmt. Als fände er das auch schade, nie mit mir Fußball spielen zu können, weil er . . . na ja, als wüsste er, dass er längst gestorben wäre, wenn ich diese Bilder zu sehen bekäme.“

„Ich hol dann wohl besser noch einen“, sagte ich.

„Mit Schuss.“

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