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Die WahrheitDas Lächeln des Knorzes

Kolumne
von Joachim Schulz

In der Kneipe Quasimodo 17 hatten stets die Brummbären ihr Zuhause gefunden. Plötzlich wird sie von gut gelaunten Menschen aus aller Welt geentert.

S eit jeher gehörte eine ausgemachte Brummigkeit zu den Einstellungsvoraussetzungen im Quasimodo 17. Mochten andere Wirte bevorzugt junge, freundliche Studentinnen beschäftigen – im Quasimodo 17 setzte man auf Knörze, die finster aus der Wäsche kuckten. Je finsterer, desto besser.

Die Kneipe selber war dementsprechend ein dunkler, muffig riechender Ort. Niemand, der den Laden betrat, erwartete, begrüßt zu werden, nur drei oder vier Stammgäste wurden mit einem kurzen Knurren willkommen geheißen, und die Stimmung am Tresen erinnerte an die von dumpfem Schweigen geprägte Atmosphäre auf dem Ruderdeck einer Galeere: Wer ein paar fidele Stunden mit lustigem Palaver verbummeln wollte, suchte eher ein Krankenhauscafé auf als das Quasimodo 17. Wenn mal einige gut gelaunte Fremde hereinkamen, dann dauerte es nur Sekunden, bis sie wieder hinaus auf die Straße stürzten und dabei eine Miene machten wie die Figur in Munchs Gemälde „Der Schrei“.

Insofern staunte man nicht schlecht, als eines Tages – von einem rätselhaften Internettipp geleitet – Touristen auftauchten und diese nicht sogleich wieder hinausrannten, sondern sich fröhlich schnatternd an einen der Tische setzten. Zuerst waren es nur ein paar junge Amerikaner, dann kamen auch Briten, Japaner, Spanier. Sie studierten kichernd die speckige Karte und bestellten: „Una Cola, bittesärr!“ oder: „One Oränschsäfd!“ – „Cola?“, brummte der Knorz hinter der Theke: „Orangensaft?“ Tatsächlich standen diese Getränke auf der Karte, doch seit Menschengedenken wurden im Quasimodo 17 ausschließlich Bier und schwarzer Kaffee getrunken, und daher verschwand der Knorz minutenlang im Getränkekeller, bis er ein paar verstaubte Flaschen mit längst nicht mehr lesbarem, aber todsicher abgelaufenem Haltbarkeitsdatum fand.

Die fröhlichen Gäste schockte das nicht. Sie lobten die bittere Note des Saftes, fanden, dass kohlensäurefreie Cola viel besser schmecke als das aufdringliche Blubberwasser, das man sonst serviert bekomme, und applaudierten aufgekratzt, als der Knorz Apfelsaftschorle auftischte, die wegen der langen Lagerdauer die Farbe von altem Burgunder angenommen hatte. Sie verfassten euphorische Bewertungen fürs Internet, und als eine Chinesin den Knorz bat, sich mit ihr fotografieren zu lassen, geschah das Undenkbare: Der Knorz lächelte! Es war, als ob das Lächeln soeben erfunden worden war und die Zukunft des ganzen Planeten wie ein verheißungsvolles Versprechen am Horizont glitzerte.

Für die Galeerensklaven am Tresen war das zu viel. „Es wird Zeit, Männer“, brummte einer, und weil damit schon zu viele Worte gemacht waren, beschränkten sich die anderen darauf, zu nicken und auszutrinken. Sie überließen das Quasimodo 17 der Fröhlichkeit und sollen sich seitdem in einem Stehimbiss am Stadtrand treffen, wo sie von den alten Zeiten träumen: Als im Quasimodo 17 noch Schweigen herrschte und ein Lächeln mit dem sofortigen Rausschmiss geahndet wurde.

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