Die Wahrheit: „Stolze Eltern sind irre!“
Das Wahrheit-Interview: Der Detmolder Standesbeamte Servatius Disselhorst-Hofenkamp über neue, ungewöhnliche Vornamen.
taz: Herr Dr. Disselhorst-Hufenkamp, Sie sind seit 35 Jahren Standesbeamter und haben jetzt aus freiem Himmel Ihre Versetzung beantragt. Warum?
Dr. Disselhorst-Hufenkamp: Es gibt zu viele Namen, die nicht mehr in mein Dachstübchen passen.
Die aktuelle Liste der beliebtesten Vornamen riecht nicht ungewöhnlich. Jahrhundertalte Namen wie Emma, Sophie oder Marie stehen bei den Mädchen obenan. Bei den Jungen sind es Ben beziehungsweise Benjamin, Paul, Lukas, Tim und so fort.
Na ja! Wer Tim heißt, wird doch nie erwachsen und bleibt sein Leben lang ein Kind. Der „Benjamin“ schmeckt ähnlich!
Tim geht seit Jahren weg wie geschnitten Brot und kann kaum der Grund für Ihre Verstimmung sein.
Ist es auch nicht. Aber dass Eltern ihrem Sohn den Namen „Büb“ auf die Nase drücken! Der heißt mit 60 noch so, wenn er langsam zugerunzelt wird. Oder dass die Erzeuger ihre Tochter „Sonne“ nennen!
Oder auch „Sonnenschein“?
Oder „Sonnenstich“! Würde jedenfalls genau auf die Eltern passen. Aber Spaß beiseite, „Sunshine“ und „Sundance“ sind als weibliche Vornamen amtlich gestempelt. Es gibt überhaupt Namen, die ganz woanders hingehören als zu einer Person. Eltern, die ihre Tochter „Dior“ taufen! Oder den Sohn „Jazz“!
Vielleicht war’ s eine Musikerfamilie, und die Eltern hießen „Swing“ und „Dixie“?
Nein, die hießen „Big“ und „Band“ und wollten noch viele Kinder. Ein Elternpaar, bei dem sich erst nach langem Warten das Wunschkind einstellte, gab ihm den Vornamen „Godot“. Ein anderes Paar, das dem Kinderwunsch durch eine Samenspende nachhalf, taufte sein Kind „Mikado“.
Wohl weil sie sich beim Kindermachen nicht groß bewegen mussten! Sind „Canasta“ oder „Schafkopf“ schon dagewesen?
Wobei der „Schafkopf“ nicht dem Zeitgeist gehorcht. Der ist anders getackert, zu ihm passt der weibliche Vorname „Prestige“ oder der männliche „Alpha“. Und was meinen Sie, was noch auf uns zurollt! Stolze Eltern sind irre! Die werden ihre tollen Kinder einfach „Super“, „Klasse“ oder „Saustark“ nennen. Auch „Top“, „Mega“ und „Okay“ erblicken dann das Licht der Standesämter.
Immerhin besser als „Wirstnix“, „Kannnix“, „Trottel“, „Schmutzfink“ und so.
Kurt Tucholsky schlug vor, Eltern sollten ihrem Kind den Namen „Lassdassein“ geben. Aber seither sind 80 Jahre verraucht. Heute lassen Eltern alles durchgehen, bilden sich kilometerhoch was ein auf ihren Nachwuchs. Das führt zu Namen wie „Prachtkerl“, „Augenschmaus“ oder „Supertyp“. Und weil man mehrere Vornamen haben darf, heißen die Kleinen jetzt sogar „Mamas Bester“, „Papas Liebling“ oder „Gut gemacht“.
Ist ja Wahnsinn!
Auch schon dagewesen.
Früher gab es den Witz, dass Eltern ihr Kind „Doktor“ taufen wollten, damit es den später nicht extra machen musste. Heute muss es schon „Professor“ sein, oder?
So ähnlich. Bildungsbürger bevorzugen für ihren Sprössling aber eher „Oper“ oder „Dichter“. Ein Paar, das seinen Reichtum durch viel Nachwuchs zeigen wollte, bestand darauf, die Kinder „Gesammelte Werke“ zu nennen und durchzunummerieren, angefangen mit „Gesammelte Werke Band eins“.
Und Eltern mit wenig Bildung?
Die kommen mit Namen wie „DJ“, „Disco“ oder auch „Topmodel“ oder „Cooler Typ“.
Ich kann mir vorstellen, dass fußballbegeisterte Eltern …
Ich muss es mir nicht vorstellen. Dass der Steppke stinknormal „Diego“ heißen soll – geschenkt. Aber „Maradona“! Dabei ist der gar nicht eindeutig. Der Name kann von beiden Geschlechtern getragen werden …
Von den anderen auch?
Da sind wir noch am Zählen. Der Vorname „Gender“ ist mir aber schon über die Leber gelaufen. Oder „Neutrum“.
Früher gab es eher politisch gezinkte Vornamen. Die Eltern machten ihr Kind zu einem „Adolf“ oder einem „Che“. Wie ist das heute?
Politisch korrekt heißen die Kleinen schon mal „Rom“, „Sinto“ oder „Schwarzer“. Aber eigentlich haben die meisten Eltern heutigentags andere Interessen auf dem Kerbholz: Sex, Autos, Fernsehen, Internet, die Modelleisenbahn, den Garten …
„Löwenzahn“? „Seidelbast“?
Das wäre fast normal. Aber sein Kind „Märklin“ zu nennen! Oder „Audi“. „Pils“. „Prosieben“. Oder „Sperma“. Sogar „Interruptus“ …
War wohl kein Wunschkind! Herr Dr. Disselhorst-Hofenkamp, wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen?
Servatius.
Dr. Servatius Disselhorst-Hofenkamp, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Servatius mit ihrem Versetzungsantrag!
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