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Die WahrheitDeppen für Deutschland

Hund sans scho: Wie die CSU es geschafft hat, dass das Schimpfen in Bayern zur großen Gaudi verkommen ist.

Foto: Caroline Ennemoser

Es ist ein trauriges Kapitel in der Familiengeschichte der Warmedingers. Die Blutlache, in der sie den Großvater des Altbauern von Unsernherrn einst gefunden haben, soll so tief gewesen sein, dass alsbald die Enten des Hofes darin geschwommen seien. Selber schuld sei der Warmedingerbauer gewesen, hieß es schon auf der Beerdigung. Einen wie den Kramergiaglsepp könne man doch nicht ungestraft als Breznsalzer bezeichnen. Außerdem seien noch andere Wörter gefallen, und dann sei dem Nachbarbauern gar nichts anderes übriggeblieben, als zum Hackebeil zu greifen und dem Warmedinger den Schädel zu spalten.

Letztlich konnte nie ganz geklärt werden, welche Beschimpfungen der Kramergiaglsepp sich in den Vorminuten seiner Tat hat anhören müssen. Die, die dabeigewesen sind an jenem Abend vor der Dorfgaststätte, haben oft von den verbalen Entgleisungen des alten Warmedinger berichtet.

Verschärftes Moosbummerl

Depp und Zipfelklatscher seien da noch die harmlosesten Beschimpfungen gewesen und richtig wild sei der spätere Totschläger erst geworden, als ihn der Warmedinger als z’sammavögelten Pimperer bezeichnet habe, als Moosbummerl, Muhhackl und Bankert, dessen Frau nichts anderes sei als eine damische Gretl. Kein Wunder also, dass es mit dem Warmedingerbauern ein so tragisches Ende genommen hat.

Jedes Jahr zu Kirchweih wird in Unsernherrn an jenen Abend erinnert, und die Nachfahren des Warmedingerbauern legen ein paar Blumen auf das Grab des Erschlagenen. Dann sinniert der ganz Ort darüber, wie sich die Zeiten über die Jahrzehnte doch geändert hätten. Bei aller Anteilnahme für die Warmedingers äußern die Bewohnen von Unsernherrn jedes Jahr aufs Neue auch ihre Enttäuschung darüber, dass es in Bayern heutzutage schier unmöglich geworden sei, jemanden zu beleidigen. Wem mache es denn heute noch etwas aus, als Rindviech bezeichnet zu werden. Das Schimpfen sei zur Gaudi verkommen. So schnell werde es wohl nicht mehr zu so etwas Herausragendem kommen wie dem Blut­rausch von Unsernherrn.

Schuld daran sei die Partei, meint der junge Warmedingerkevin am 80. Jahrestag der großen Schädelspalterei. Warum sich eine wie die Wirtschaftsministerin Aigner nicht ärgern könne, wenn man sie als damische Gretl bezeichne, frage er sich schon. Als Landwirtschaftsministerin droben in Berlin habe die gesagt, dass bayerische Kühe laktosefreie Milch geben würden, füttere man sie nur mit Heu. Wenn man das als deppert bezeichne, dann freue sich diese Alpenwachtl wahrscheinlich sogar noch darüber, weil deppert ein so schönes, altes bairisches Wort sei.

Es möge ja schön anzusehen sein, so der Kevin weiter, dass den bayerischen Frauen Geranien aus den Brustwarzen wachsen, die sich über dem Holz vor der Hütt’n im Dirndldekolletee durchaus hübsch machten. Und es mag ebenso faszinierend sein, dass in Bayern demnächst 3-D-Drucker hergestellt werden, mit denen sich eine Miesbacher Tracht ausdrucken lasse. Und auch wenn der Weißwurst-, Leberkas- und Schweinsbratenkult bis hinauf in fränkische Gefilde zu so manch arg früh einsetzender Herzinsuffizienz führe, so würde es doch wenigstens schmecken. Doch dass jetzt jedes bairische Schimpfwort zu einem regionalen, mithin witzigen Bonmot umgedeutet werde, das gehe dann doch zu weit. Sie würden heute nicht an diesem Grab stehen, so der Warmedingerkevin, wenn zu Lebzeiten seines Urgroßvaters schon eine ähnliche Unkultur geherrscht hätte. Nicht auszudenken!

Und selbstverständlich wissen all die Umstehenden, dass es kein Zufall ist, was da in Bayern passiert ist. Die Folklorisierung der bayerischen Schimpfkultur sei ein Meisterstück der Partei gewesen. Unangreifbar habe sie sich gemacht, sagt der Kramergiagljochen. Und kaum einer widerspricht, obwohl im Ort das Gerücht umgeht, der Nachfahre des Schlächters von Unsernherrn habe sein Kreuz bei der letzten Wahl bei den Grünen gemacht.

Einem wie dem Scheuer, dem Generalsekretär der Partei, sei es letztlich egal, so der Kevin, ob man ihn als broadgfozadn Bosnickl bezeichne, wenn er die griechische Regierung „linke Erpresser und Volksbelüger“ nenne. Und er würde es wahrscheinlich witzig finden, wenn man ihn Gifthaferl heißen würde, wo er doch tatsächlich behauptet habe, 60 Millionen Flüchtlinge seien auf dem Weg nach Bayern.

Und niemand kann sich vorstellen, dass man diesen Mautversager Dobrindt mit dem Wort Gschmoaß beleidigen kann. Er würde es sich wahrscheinlich aufschreiben und behaupten, es gefalle ihm als Freund und Beschützer des bairischen ­Idioms ganz besonders gut.

Und der Seehofer, der sei, da sind sich alle einig, ohnehin längst jenseits von Gut und Böse. Ja, sie kassiere das Betreuungsgeld, sagt die junge Warmedingerin, aber von Wahlfreiheit könne nicht die Rede sein, wenn die Ganztagesgruppe des Kindergartens um 14 Uhr schließe. Und dann schaffe es der Ministerpräsident nicht einmal, dass das Ganze verfassungskonform geregelt werde. So einer gehöre beschimpfwörtert, meint sie. Bloß wie, fragt sie sich!

Verflixter Hirnfieselkatarrh

Ob der Seehofer nicht an Hirnfieselkatarrh leide, hat sich der Kramergiagljochen des Öfteren gefragt. Wie könne, ereifert er sich, jemand Asyl missbrauchen, der ohnehin keines gewährt bekomme. Einer, der ein Wort wie „Abschiebelager“ erfinde, den hätte man früher als Sautreiber bezeichnet. Aber Seehofer werde das nicht jucken. Wahrscheinlich habe er den Sautreiber längst als schützenwerten Beruf eintragen lassen und werde auf dem Zen­tra­len Landwirtschaftsfest den ersten staatlich geprüften Sautreiber höchstpersönlich mit einer Medaille auszeichnen.

Womit wir bei diesem Söder wären, wirft jetzt der Wurmedingerkevin ein. Der sei das Urbild eines Breznsalzers, einer, der immer und überall gescheit daherrede, obwohl er keine Ahnung habe. Und das liege nicht allein daran, dass er Franke sei. Der Söder sei es, der daran arbeite, auch die fränkischen Gaue des Freistaats in eine Folklorehölle zu verwandeln.

Verbrunzter Breznsalzer

Wie anders sei es zu verstehen, dass er das Heimatministerium in Nürnberg angesiedelt hat. Und wenn den Söder jemand einen Breznsalzer schimpfe, weil er den Griechen wieder einmal Hausaufgaben aufgebe, obwohl er nicht einmal Dorfschullehrerformat habe, dann werde der gewiss antworten, dass das doch ein ehrenwerter Beruf sei, Breznsalzer. Der Söder sei einfach ein Depp, meint dann der Kramergiagljochen und ist sich sicher, dass der Finanzminister auch noch stolz darauf ist, ein solcher zu sein. Ihn jedenfalls würde es nicht wundern, wenn die CSU dereinst auf ihre Plakate schreiben würde: „Deppen für Deutschland“.

Aber wählen würden sie die Partei trotzdem, meint da der Warmedingerkevin, worauf der Kramergiagljochen erwidert, dass der junge Warmedinger selber ein Depp sei. Kurz darauf spuckt der Kramergiagljochen ein paar Zähne aus, die ihm der Warmedingerkevin gerade ausgeschlagen hat. Das sei ja wie in der guten, alten Zeit, meint die Warmedingermutter und wischt sich ein paar Tränen weg. Einen Toten gibt es an diesem Tag indes nicht.

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