Die Wahrheit: Sex in der Kiste
Die Briten treiben es gern öffentlich im Fernsehen. Aber nur in einer Holzbox. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann vögeln sie noch heute …
Den Amis kann man alles andrehen. Der britische TV-Sender Channel 4 hat dem US-Fernsehen das Konzept für eine „wissenschaftliche“ Serie über Geschlechtsverkehr verkauft, die in Großbritannien vor zwei Jahren lief und wegen krimineller Verbreitung von Langeweile nach sieben Folgen abgesetzt wurde. Die Amis merkten es allerdings schneller: Sie hatten zwar neun Folgen geordert, aber nach fünf Shows die Reißleine gezogen. Mal sehen, wie lange es bei Sat.1 Gold dauert. Dort soll die adaptierte Show bald gezeigt werden.
Das Konzept von „Sex Box“, wie die englische Show hieß, war simpel. Ein Pärchen begab sich in eine große, geschlossene Holzkiste auf einer Bühne, vögelte eine halbe Stunde und redete dann vor Studiopublikum mit der Moderatorin Mariella Frostrup darüber. Die Paare seien „offener für Gespräche über Sex, wenn sie selbst gerade welchen hatten“, meinte Ralph Lee, der Programmchef von Channel 4. Reden Hooligans im Fernsehen offener über Gewalt, wenn sie vorher jemanden im Studio vermöbeln dürfen?
Channel 4 hatte die Sex-Box damals als Gegengewicht zur „Explosion von Online-Pornografie“ verbrämt: Man wolle den Sex nicht der Pornografie überlassen. Die Show war Teil einer „Kampagne für richtigen Sex“, was immer Briten darunter verstehen. Das erinnert fatal an die irregeleitete „Kampagne für richtiges Ale“. Da Engländer kein anständiges Bier brauen können, haben sich die Anhänger der Kampagne auf eine schale Brühe spezialisiert, die ohne Kohlensäure gezapft wird.
Die Sex-Box, sagte Lee, biete der Öffentlichkeit die Gelegenheit, zu sehen, wie normaler Sex funktioniere. Es in einer Holzkiste auf einer Bühne vor Studiopublikum treiben, um danach alles brühwarm Frau Frostrup zu erzählen? Die hat übrigens vor Kurzem an Angela Merkel geschrieben. Nein, sie wollte die Kanzlerin nicht in die Fickbox einladen. Sie solle sich gefälligst auf Frauenförderung konzentrieren, forderte Frostrup.
Lee behauptete, es sei „seltsamerweise eine ziemlich keusche Sendung – es gibt darin keinen Sex“. Was trieben die Leute denn in der Kiste? Stand dort überhaupt ein Bett? Musste Channel 4 dafür die berüchtigte Schlafzimmer-Steuer der Tories zahlen? Die Kiste wurde mit bunten Laserstrahlen beleuchtet, um zu suggerieren, dass drinnen etwas Spannendes passierte. Spanner kamen aber nicht auf ihre Kosten. Deshalb stellten die meisten Zuschauer die Kiste nach einer Viertelstunde ab. Oder sie schalteten auf „Big Brother“ um: Dort ist die Sex-Box größer und hat innen Kameras. Trotz der schlechten Quote plant Channel 4 eine Fortsetzung: Diesmal soll ein Masturbatorium auf die Bühne gestellt werden.
Bildungsminister Michael Gove riet Jugendlichen seinerzeit, sie sollten statt zu vögeln sich gegenseitig Liebesgedichte zuschicken – mit Hilfe der kostenpflichtigen Handy-App „Love Book“, die eine Freundin seiner Frau entwickelt hatte. Mit solch einem Bildungsminister und einem Fernsehsender, der Sex mit Sex bekämpft, werden die Engländer bald die Lust verlieren und aussterben.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
mowgli
Spannende Frage, das. Reden Hooligans im Fernsehen offener über Gewalt, wenn sie vorher jemanden im Studio vermöbeln dürfen? Man sollte eine TV-Serie zum Thema machen. Ich schlage vor, als Probanden auf der Opferseite werden die Programmchefs aller Sender gecastet, die öffentlich erklären, solche Sendungen wären aus „wissenschaftliche[n ]“ Gründen geboten. So ein, zwei kleine Opfer, finde ich, könnten ruhig auch die Verantwortlichen mal bringen im Namen des Fortschritts.
Im Übrigen gehe ich davon aus, dass eine Serie, in der Chefs verprügelt werden, nicht bereits nach fünf oder siegen Folgen „wegen krimineller Verbreitung von Langeweile“ abgesetzt werden muss. So etwas läuft wahrscheinlich länger und verkauft sich besser als Takeshi’s Castle – wenn nicht den Sendern nach fünf bis sieben Folgen die gesprächigen Programmchefs ausgehen. Sie müssten in dem Fall auf andere Branchen ausweichen. Wichtig ist bloß, dass die Beteiligten vor und nach der Prügelei vor die Kamera treten und da ihren vollen Namen und ihre Funktion nennen müssen. Ach ja, in der Holzkiste sollte außerdem ein leistungsfähiges Mikrofon hängen, das eventuelle Geräusche in den Zuschauer- bzw. Zuhörerraum überträgt.
Auf die Bevölkerungsentwicklung der Staaten, in denen sie ausgestrahlt wird, wirkt sich eine solche Sendung womöglich sogar positiv aus. Das müsste man natürlich parallel zur Sendereihe untersuchen. Rein wissenschaftlich, meine ich.