Die Wahrheit: Klingeln im Ohr

Normalerweise kann ich nicht mithalten, wenn Bekannte von Krankheiten und Medikamenten reden, aber jetzt habe ich ein Antirauchmittel …

Wenn uns gleichaltrige Freunde besuchen, kommt das Gespräch unweigerlich auf Krankheiten, und man tauscht Erfahrungen über Tabletten aus. Ich ging bisher auf die Toilette und las, weil ich bei dem Thema nicht mitreden konnte, denn ich nahm nie Tabletten. Das hat sich geändert.

Es fing mit einem Routinebesuch beim Arzt an. „Ihre Lungenfunktion ist prima - nur schade, dass Sie rauchen. Wie viel sind es denn am Tag?“ - „Rund eine Schachtel“, sagte ich. „Nein, es sind 28 Stück am Tag“, blaffte er. Das hatte der Bluttest ergeben. Ich wolle ja aufhören, meinte ich kleinlaut, es sei aber nicht so einfach. „Ich mache auch Raucherberatung“, sagte der Arzt. „Für 50 Euro. Wir können das gleich erledigen.“ Ich nickte entsetzt.

Er holte eine hübsche Packung aus dem Schrank und klappte sie auf. Innen befanden sich sieben Reihen mit kleinen weißen und hellblauen Tabletten. Über jeder Reihe stand abwechselnd das Symbol für Sonne und Mond. „Die Tabletten in der ersten Reihe sind morgens einzunehmen, die in der zweiten abends“, erklärte er mir. Darauf wäre ich nie gekommen. Und wenn es bewölkt sei, wollte ich fragen, ließ es aber lieber bleiben, weil er mir womöglich weitere 50 Euro für eine meteorologische Beratung abgeknöpft hätte. „Nach einer Woche haben Sie keine Lust mehr zu rauchen“, meinte er. Damit war die Beratung beendet.

In der Apotheke holte ich mir eine Dreimonatspackung für 280 Euro. Da in Irland eine Schachtel Zigaretten 10 Euro kostet, hätte sich die Investition in einem Monat locker amortisiert. Die Tablettenpackung war dreisprachig beschriftet: schwedisch, norwegisch und isländisch. „Filmuhúdadar töflur“, aha. Wenigstens war der Beipackzettel auf Deutsch. Er war so groß wie ein Bettlaken.

Mir wurde angst und bange, als ich zu den Nebenwirkungen kam. Bei Patienten wurde „von Depressionen, Selbstmordgedanken, selbstgefährdendem Verhalten sowie Selbstmordversuchen berichtet“. Basiert die Wirkung des Medikaments auf der Annahme, dass Tote nicht rauchen? Die anderen Nebenwirkungen können sich auch sehen lassen: Verhaltensänderungen, Denkstörungen, Halluzinationen, Panik. Letztere bekam ich umgehend, als ich an den Entzug dachte.

Die Tabletten bewirken darüber hinaus eventuell „verminderten Appetit oder gesteigerten Appetit“. Ja, was denn nun? Schlaganfall, abnorme Träume, Verfärbung der Augäpfel und Bluterbrechen sind ebenfalls im Angebot. „Wenn sich Ihre Haut abschält, müssen Sie die Einnahme beenden“, rät mir das Pharma-Unternehmen. Nebenwirkungen, die nicht erwähnt sind, möge man melden, damit mehr Informationen über die Sicherheit dieses Arzneimittels gesammelt werden können. Bin ich ein Versuchskaninchen? Mehr Nebenwirkungen gibt es doch gar nicht, außer Ärztemord vielleicht. Von Fußpilz bis Klingeln im Ohr ist alles aufgelistet.

Wenigstens kann ich jetzt im Freundeskreis mitreden. Mit meiner Superdroge bringe ich selbst Multitablettenschlucker und Hypochonder zum sofortigen Verstummen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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