Die Wahrheit: Die Tassen im Schrank Nordkoreas

Die Sache mit Nordkorea war wirklich ein glücklicher Zufall ...

... Weil während einer Zwischenlandung in Pjöngjang die Nachricht vom Ableben des lieben Führers die Runde machte und das Land augenblicklich in Schockstarre verfiel, konnte ich unbemerkt an der verwaisten Einwanderungskontrolle vorbeischlendern.

Ein zuständiger Beamter setzte mir zwar noch nach, musste dabei aber so sehr schluchzen, dass er bald mit Seitenstechen zusammenbrach, während ich in die letzte U-Bahn in Richtung Innenstadt schlüpfte. Uff.

Es ging vorbei an den Haltestellen "Signalfeuer", "Blühendes Licht", "Triumphale Wiederkunft", "Goldenes Feld", "Sieg" und "Kriegssieg" bis nach "Erziehung der Schüler durch Wissen, Moral und Sport". Dort stieg ich aus und tauchte sogleich in den werktätigen Massen unter, die zu einem zentralen Platz strebten. Sanft, als weine der Himmel selbst gefrorene Tränen, wirbelte der Schnee um die messerscharfen Ecken trutziger Gebäude, die von einem depressiven Le Corbusier entworfen worden sein mussten.

Ich sah mich um und staunte nicht schlecht: Die weise Wirtschaftspolitik des lieben Führers hatte ihn verwirklicht, den alten Traum von der autofreien Großstadt. Vor den Geschäften bildeten sich lange Schlangen, weil Kim Jong Il kurz vor seinem Tod durch Überanstrengung seinem Volk noch etwas Gutes getan hatte: Fisch für alle! Fisch und bisher unerschwingliche Luxusgüter wie Büroklammern oder diese kleinen runden Filzteile, die man unter Stuhlbeine kleben kann, damit die nicht das Parkett zerkratzen.

Westliche Beobachter wissen das nicht zu schätzen. Im Gegenteil wird spekuliert, ob die Trauer der Untertanen tatsächlich echt war. In der Totalen würden die Straßen gar nicht sooo voll wirken, und steinerweichend geheult worden wäre nur in den ersten Reihen, von Schauspielern, die mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen werden mussten.

Ich mag solch westlicher Propaganda nichts abgewinnen, konnte ich mich doch persönlich vom ordnungsgemäßen Zustand der Trauer überzeugen. Rotz und Wasser waren authentisch und wurden immer ansteckender, je näher der Trauerzug rückte. Als man endlich eine Kamera auf mich richtete, konnte auch ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

Da waren die weißen Tiger aus dem Privatzoo des lieben Führers, die im Fernsehen wegen des Schnees und der grobkörnigen Auflösung nur sehr schlecht zu erkennen waren. Ihnen folgte, in einigem Abstand, der Wagenkonvoi in der Geschwindigkeit gemessenen Schrittes.

Bei der Limousine, auf deren Dach der Sarg transportiert wurde, handelte es sich unabweislich - um einen Lincoln Continental von 1975! Das musste ein asiatisch verrätseltes Sinnbild sein: Das Paradeprodukt des Erbfeindes, das amerikanischste Automobil aller Zeiten, chromblitzendes Sinnbild des ölhungrigen Kapitalismus, brachte den lieben Führer ins Grab. Was, wenn in Wahrheit alle Welt vollkommen irrsinnig geworden ist und nur in Nordkorea die Leute noch alle Tassen im Schrank haben?

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kari

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