Die Wahrheit: Riech, Erinnerung, riech
Tagebuch einer Beschenkten: Die Anzahl der nicht sehr gut riechenden Männer, die sich da draußen in der großen Welt bewegen, ist als kritisch zu bezeichnen.
J eder, der heutzutage ein Kulturereignis von Rang besucht, ist mit dem modernen Brauch des Sponsorings vertraut, lockt ja inzwischen jedes Provinzschützenfest seine Gäste mithilfe finanzkräftiger Event-Paten in seine Zelte. Nach dem Besuch eines solchen gesponserten Events untersucht die Beschenkte natürlich gleich auf dem Nachhauseweg im Taxi die zum Abschied überreichte Wundertüte nach Brauchbarem. In der Kategorie „Nützliches“ findet sich neben Haarspray (hilft gegen Kugelschreiberflecken!) unter anderem Lidschatten in den Tönen „elendsgrau“ bis „depridunkel“, womit sich zum Beispiel für den Kinobesuch von „Les Misérables“ der passende Begleitlook kreieren ließe. Zum Schluss die Überraschung: After Shave. Duft für Männer!
Zeitgenossen, die häufig die heimelige Nähe zum Mitmenschen im Theater- oder Kinosaal erleben, wissen, dass sich draußen in der Welt eine als kritisch zu bezeichnende Anzahl nicht sehr gut riechender Männer bewegt. Um es klar zu sagen: nicht unbedingt schlecht riechend. Aber eben auch nicht gut.
Das Taxi hält vorm Zuhause; durchs nächtliche Treppenhaus wabern die käsigen Ausdünstungen vor Wohnungstüren geparkter Männerschuhe. Dieser Tüteninhalt schreit nach direkter Anwendung! Es gilt, die Sponsorgabe strategisch einzusetzen, auf dass sein künftiger Benutzer Nachahmer finde und sich allüberall Wohlgeruch verbreite!
Die Suche nach einem Abnehmer bringt umgehend Ernüchterung. Parfüm für Männer? Iiih! Krass unmännlich! Gegenargumente – „Ich liebe den Geruch von After Shave am Morgen!“ – prallen auf eine Abwehrmauer wie ein schlecht platzierter Freistoß. Die traurige Wahrheit ist, dass der moderne Mann naturbelassenen Biocharme bevorzugt, während die Frau wahre Nachhaltigkeit praktiziert. In ihrem Geruchsgedächtnis sind verflossene Liebhaber unauslöschliche Verbindungen mit ihren After Shaves eingegangen, ihre Düfte ewig abgespeichert, so roch X und so Y, und überhaupt, man hätte sich ein Fläschchen von Z.s Eau de Cologne sichern sollen, denn dessen Produktion wurde irgendwann eingestellt, und wer weiß, vielleicht starb ja sogar deshalb die Liebe?
Auch wenn sie die Männer irgendwann nicht mehr riechen konnte, so haben sie zumindest in der Erinnerung eine olfaktorisch angenehme Duftmarke hinterlassen. Erstaunlicherweise kommt es umgekehrt nie vor, dass ein im Vorübergehen aufgeschnappter bekannter Hauch Szenen endloser Beziehungsqual wiederauferstehen lässt.
Schließlich geht das verschmähte Präsent an den Taxifahrer. Harkan freut sich, die Kollegen haben nämlich auch schon eins. Ach ja? Wie sich herausstellt, verteilten die Besucher des letzten Berliner Großevents ihre Männerdüfte gleich auf dem Nachhauseweg, weshalb nun der Fahrgast zwischen Frohnau und Lichtenrade, Spandau und Hellersdorf auf dem Rücksitz im immer gleichen After-Shave-Nebel versinkt. Sponsor-Mission accomplished. Paul Linke hat’s gewusst: „Ja, das ist die Berliner Luft Luft Luft, / so mit ihrem holden Duft Duft Duft …“
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