Die Wahrheit: Strahlende Zellen
In der Kölner „Manufaktur für schöne Sätze“ werden die liebreizendsten Wortkonstrukte des Jahres gebildet.
Die kleinste Zelle der Literatur ist bekanntlich der Satz. Oder eigentlich ja das Wort. Doch da ein einzelnes Wort nicht viel ausrichten kann im Meer der Worte, die wir „Buch“ nennen, kann diese Behauptung ruhigen Gewissens aufgestellt werden. Denn anders als das einzelne Wort vermag der einzelne Satz bereits erhebliche Strahlkraft zu entwickeln, wie Vera Senkfuss-Bechtel von der Kölner „Manufaktur für schöne Sätze“ weiß: „Anders als das einzelne Wort vermag der einzelne Satz bereits erhebliche Strahlkraft zu entwickeln!“
Extra für uns ist Frau Senkfuss-Bechtel tief ins Bonbonglas gelungener Sätze getaucht und hat einige Perlen hervorgeholt, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. „Am besten wirken diese Sätze, wenn man sie in entspannter Atmosphäre, etwa im Chill-out-Bereich seiner Lieblingslounge hoch über den Dächern Kölns, vielleicht zu einem Cocktail im Beisein guter Freunde, liest. Am besten mit geschlossenen Augen“, gibt uns die Expertin noch mit auf den Weg, ehe sie sich wieder der Fertigung von eingeschobenen Hauptsätzen zuwendet, die mit „nichtsdestotrotz“ beginnen und in denen kein „f“ vorkommt, dafür aber etwas, das mit der Farbe Schwedisch Blau oder einem sacht anschwellenden Geräusch assoziiert wird. Und das sind einige ihrer schönsten Fundstücke:
„Tür zu!“, hatte Hans-Josef F. schreien wollen, doch dann schloss er lieber sein Studium vorfristig ab, machte in der Wirtschaft Karriere, heiratete zweimal, wurde vierfacher Vater sowie Ehrenbürger von Neu-Ulm und starb hochgeachtet im Alter von 86 Jahren im Beisein seiner philippinischen Pflegerin, die ihr gesamtes Wissen über die Deutsche Wehrmacht allein ihm verdankte.
Der Gemeine Stinklattich ist im persönlichen Umgang überraschend angenehm.
Sinas Auto erwies sich für die geplante Reise als ungeeignet, da es in der Nacht zuvor gestohlen worden war.
Nur mit Socken bekleidet verlor der Graf doch erheblich an Ausstrahlung.
Die Ross-Schlachterei spürte an ihren Umsätzen, dass die gegenwärtige Frauengeneration mit Büchern aufgewachsen war, in denen man mit Pferden seinen Liebeskummer besprach.
Aus weiblicher Sicht besteht das Ziel des Federballspielens darin, Anmut mit dem gelegentlichen Treffen des Federballes zu verbinden.
Man nehme 400 g durchwachsenen Speck, 200 g Mehl, etwas Butter, Salz und Pfeffer, 1 kg Möhren und 1,5 l Wildfonds; wenn Sie nur halb so viele Gäste erwarten, ist selbstredend die doppelte Menge vonnöten, falls diese viermal so viel essen.
Wer sich in Bulgariens Hauptstadt Sofia nach den nächstgelegenen Sehenswürdigkeiten erkundigt, wird von den Einheimischen zumeist auf Paris oder London verwiesen.
Das Triumphgefühl, diesmal der Erste gewesen zu sein, verließ Werner P. selbst in dem Moment nicht vollständig, in dem sich die Parklücke als Baugrube herausstellte.
Günter Grass salzte nach.
Problematisch sind, wie Vera Senkfuss-Bechtel berichtet, Sätze auf Ausländisch, zum Beispiel Japanisch. Weil Japanisch bekanntlich von rechts unten nach links oben gesprochen wird. Selbst der Japaner ist darin dermaßen unsicher, dass es ständig zu Missverständnissen kommt, weil es ja auch so gehört werden muss. Wenn jemand sagt: „Das Fischgeschäft ist von 6 bis 22 Uhr geöffnet“, so heißt das eigentlich, andersrum gehört, dass das Geschäft von 22 bis 6 Uhr zu hat. Oder es hat doch offen, ist aber kein Geschäft. Oder es gibt nur Fisch, wenn zu ist. Wer soll das wissen?
Naturgemäß führt Missverständliches häufig zu Streit. Nicht zufällig kommen die meisten Kampfsportarten aus Japan – wie Sumo, Judo und Karaoke. Und wer im Kampf unterliegt, muss sich schließlich entleiben. Mit einem Samurai-Schwert, aber schön von rechts unten nach links oben. Sonst ist es ungültig.
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