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Die WahrheitAuf der Suche nach Dingsbums

Kolumne
von Joachim Schulz

Jeder wusste, dass Raimund noch immer daran glaubte, eines Tages für den Film entdeckt zu werden und eine grandiose Schauspielerkarriere zu starten.

Mann, Raimund“, sagte ich: „Du weißt nicht, wie er aussieht, du weißt nicht, wie er heißt – wie sollen wir ihn finden?!“ „Phh!“, machte Raimund: „So einen Giganten erkennt man doch! Man hätte schließlich auch Truffaut erkannt, wenn man neben ihm an der Ampel gestanden hätte. Oder Hitchcock, diesen Charakterkopf!“ – „Quatsch!“, sagte ich: „Auch Hitchcock hätte man nur erkannt, wenn man vorher mal ein Foto seines Charakterkopfs gesehen hätte. Ansonsten hätte man ihn bestenfalls für ein Double von Winston Churchill gehalten.“

Jeder wusste, dass Raimund noch immer daran glaubte, eines Tages für den Film entdeckt zu werden und eine grandiose Schauspielerkarriere zu machen. Jetzt, da er gehört hatte, dass ein berühmter Regisseur in der Stadt sei, hielt er den Moment für gekommen. „Und wie“, fragte ich, „willst du ihn auf dich aufmerksam machen? Ich glaube ja, dass du als Klaus Kinski mit Stan-Laurel-Einschlag eine gute Figur machen würdest. Vielleicht solltest du auf die Schnelle eine Slapstick-Version einer Fitzcarraldo-Szene einstudieren.“ Raimund schüttelte den Kopf. „Du wirst sehen, es reicht völlig aus, wenn ich mich ganz natürlich verhalte. Denn ich“, er machte eine Kunstpause, „besitze eben dieses gewisse ’Je-ne-sais-quoi‘.“

Wir erreichten den Goetheplatz. Raimund blieb stehen und zeigte auf einen dunkelhaarigen Herrn, der an einem der Tische vor der Bäckerei Brüser saß und tatsächlich aussah wie François Truffaut. „Aber Truffaut ist seit 30 Jahren tot!“ – „Klar“, erwiderte Raimund: „Trotzdem – das da ist mein Mann!“ – „Aber nicht jeder, der Truffaut ähnlich sieht, muss deshalb …“ – „Pst!“, machte Raimund, zog mich zu einem anderen von Brüsers Tischen und bestellte Kaffee.

„Und nun?“, flüsterte ich: „Willst du nicht vielleicht doch ein bisschen kinskihaft herumhampeln?“ – „Pst!“, machte er wieder. „Pardon“, sagte plötzlich ein kleiner Herr, der unbemerkt von hinten an uns herangetreten war und eine nicht angezündete Zigarette in den Fingern hielt: „Hätten Sie wohl Feuer für mich?“ – „Nein, äh … wir rauchen nicht mehr.“ – „Oh, wie schade! Warum nicht?“ – „Weil, na ja, weil’s schädlich ist.“ – „Rauchen? Schädlich? Aber nicht doch! Es schadet überhaupt nicht, im Gegenteil, es …“ – „Hören Sie“, unterbrach ihn Raimund unwirsch, „wir sind beschäftigt.“ Dann wies er auf Rudi, den Blödmann, der gerade rauchend vorbeiging. „Da, fragen Sie den!“

Der kleine Herr lief Rudi hinterher, und wir drehten uns wieder um. „Das gibt’s doch nicht!“, japste Raimund. Der Dunkelhaarige war verschwunden. „Da trifft man einmal im Leben einen berühmten Regisseur, und dann kommt so ein Kerlchen und versaut einem alles!“ Er sprang auf, irrlichterte hin und her, rannte – während der kleine Herr und Rudi plaudernd zur Bar Centrale hinübergingen – schließlich fluchend und suchend davon und wäre, als wir ein Jahr später einen „Tatort“ sahen, in dem Rudi, der Blödmann, immerhin die Leiche spielen durfte, fast an einem hysterischen Lachkrampf erstickt.

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