Die Wahrheit: Die Religion der Fußballisten
Aufgeklärte Fußballfans, die trotzdem archaischen Ritualen frönen, vergessen, dass Gewalt auf und neben dem Platz Kern des Spektakels ist.
B isher dachte ich immer, Fußball sei eine tolerante und friedliche Religion. Fußball, dachte ich, existiere in Harmonie mit anderen Glaubensrichtungen. Auch wenn seine Anhänger es sich nicht verkneifen können, auf vergleichbares Gehampel wie Handball oder Volleyball mitleidig herabzuschauen.
In Sure 23 heißt es: „Er ist Sport, außer dem es keinen Sport gibt. Er ist der hochheilige König, dem das Heil innewohnt. Er ist es, der Sicherheit und Gewissheit gibt, der Mächtige, Gewaltige und Stolze. Fußball sei gepriesen!“ Regelmäßig besuchen die fußballfürchtigen Gläubigen ihre Gottesdienste in Stadien: „Und ihr Gebet beim Haus ist Pfeifen und Klatschen“ (Sure 8).
Ganz offensichtlich aber hat der Fußball ein Gewaltproblem. Und das nicht erst, seit 6.000 Hooligans „mehrheitlich friedlich“ die Innenstadt von Köln in Schutt und Asche gelegt haben. Nein, die Gewalt gehört zum Fußball wie der Fußball zu Deutschland. Was selbstverständlich längst nicht für alle Fußballgläubigen gilt.
Ich kenne mich aus, einige meiner besten Freunde sind welche. Fans von Mainz, Wolfsburg oder München, die sich für aufgeklärt halten und dennoch von den archaischen Ritualen nicht lassen können. In ihrer Bequemlichkeit machen sie sich vor, die Gewalt auf und neben dem Platz sei ein „Auswuchs“ ihrer ansonsten fairen bis barmherzigen Religion. Dabei ist sie ihr Kern.
Kein Wunder, dass diese Gewalt gerade jetzt aus dem Stadion ausbricht. Gesellschaftliche Grabenkämpfe sind eben auch Grabenkämpfe. Und Freunde des Ersten Weltkriegs wissen, dass sich aus dem Graben keine Gebietsgewinne machen lassen. Die Infanterie hockt dumpf in ihren Unterständen, während die gegnerischen Gesinnungsgeschütze einander beharken. In Leitartikeln oder Talkshows tobt ein lähmender Meinungsstellungskrieg wie weiland 1915, als Oberstleutnant Willy Rohr den Stoßtrupp erfand. Damit brachte er wieder Bewegung in den Krieg und verhalf nebenbei dem Fußball zu seinem Siegeszug.
Rohrs legendäres „Sturm-Bataillon Nr. 5“ war ein effizientes und dizipliniertes Team von Spezialisten am Maschinengewehr, Minen- und Flammenwerfer. Mithilfe konsequenten Pressings und der richtigen mentalen Einstellung sollte das zweikampfstarke Team rechtzeitig seine Leistungen abrufen und die Lücken in der gegenerischen Abwehr durchbrechen. Und fortan war nicht mehr Schwimmen, Rudern oder Klettern angesagt. Offizieller Wehrsport wurde das Fußballspiel, dem sogar „die Offiziere sich anschließen“, wie die französischen Spione staunten.
Schließlich ging es um „Kameradschaft“ und darum, „an die Stelle der Masse die Elite zu setzen“, wie SS-Obergruppenführer Felix Steiner 1939 betonte. Es ist „die Idee der Spontaneität, des schnellen Angriffs“, mit der allein sich die Verhältnisse auf dem Schlachtfeld, dem Platz oder im gesellschaftlichen Diskurs aufbrechen lassen. Ist so. Steht alles bei Friedrich Kittler.
Ich will nicht fußballophob klingen. Aber ich finde, dass moderate Fans sich deutlicher von ihren radikalen Glaubensgenossen distanzieren sollten.
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