Die Wahrheit: Verwehungen dritten Grades
Schwabinger Krawall: Es ist eine Riesenverschwendung, dass die teuren Sportgeräte seit Jahren ungenützt den Keller blockieren. Also auf in die Berge!
K ein Mensch, sagt Onkel Rainer, könne garantieren, dass man in Zukunft überhaupt noch Ski fahren könne, und es sei eine Riesenverschwendung, dass die teuren Sportgeräte seit Jahren ungenützt den Keller blockieren. Der Kevin ist begeistert, vor allem als sich herausstellt, dass bei seinen Skiern die Stahlkanten komplett verrostet sind, weshalb neue her müssen, bei denen aufgrund der Eile das Geld keine Rolle spielt.
Man übersteht den ersten Stau am Irschenberg und Onkel Rainers Gegrummel, so gehe es, wenn der Bub sein Zeug im Keller verrotten lasse, statt sich darum zu kümmern. Dass er danach einen Fahrstil anschlägt, der sie an ein Formel-1-Rennen erinnere, bemerkt die Mama bloß so nebenher. Dass dem Fritzi davon schlecht wird und er an der Raststätte nach dem Kotzen sofort in den Kiosk eilt, um sein Zeugnisgeld in bunte Süßigkeiten umzusetzen, wird ebenso stoisch hingenommen wie der zweite Stau, der in einem dermaßen heftigen Schneetreiben stattfindet, dass die Mama leise Zweifel äußert, ob Ski fahren bei diesem Wetter überhaupt erlaubt sei. Wenn erst die Sonne wieder hervorbreche, werde sie schon sehen, sagt Onkel Rainer.
Weil die Sonne aber doch nicht hervorbricht, beschließt Onkel Rainer, den avisierten Lift, zu dem es noch etliche Kilometer wären, Lift sein zu lassen und sich mit dem nächstbesten zu begnügen. Der ist außer Betrieb – „Bei dem Wetter? Sind Sie narrisch?“, sagt der Betreiber. Onkel Rainer möge, wenn er unbedingt wolle, gerne weiterfahren, allerdings bloß mit Schneeketten, die er bei ihm erwerben könne. Der nächste Lift ist im massiven Schneesturm gleich gar nicht zu sehen, also findet Onkel Rainer, man könne auch eine Berghütte aufsuchen, er habe sowieso Hunger. Leider ist die erste Hütte geschlossen, in der zweiten sind (wegen der Witterung unterbrochene) Renovierungsarbeiten im Gange, die dritte feiert ihren Ruhetag, und in der vierten gibt es lediglich einen kalten Leberkäse ohne Ei, den Onkel Rainer auf keinen Fall verzehren mag, weil er davon Magenkrebs bekomme.
Ein Abstecher auf diverse Bundesstraßen führt durch diverse Dörfer, in deren Gaststätten die Mittagskarte schon nicht mehr gilt, die Abendkarte hingegen noch nicht. Schließlich kommt die Weiterfahrt an der bereits bekannten Autobahnraststätte wegen heftigen Regengüssen und nachfolgendem Blitzeis vollends zum Erliegen. Da Onkel Rainers Hunger sich mittlerweile akustisch bemerkbar macht, erklärt er sich finsteren Gesichts mit einer Portion Pommes einverstanden. Das gewünschte Bier indes verbietet ihm die Mama wegen der schwierigen Straßenverhältnisse. Es dämmert, als sich die Reisegruppe, der nun ein Hagelschauer waagerecht entgegenkommt, endlich den Münchner Autobahnkreuzen nähert, und als man zu Hause angelangt ist, sind die „Tagesthemen“ vorbei. Onkel Rainer erfährt in seiner Stammkneipe, man habe schon geschlossen, weil so schlechtes Wetter sei, dass kein Mensch eine Wirtschaft aufsuche. Da ist er ausnahmsweise und völlig unfreiwillig sprachlos.
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