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Die Verlierer des neuen Welthandelsregimes

Als die Welthandelsorganisation 1994 ins Leben gerufen wurde, versprachen ihre Gründer, daß „alle 127 Mitgliedsstaaten von den Handelsliberalisierungen profitieren werden“. Das war offenbar zu optimistisch, schreibt  ■ aus Singapur Andreas Zumach

„Nur Gewinner und keine Verlierer“, sah Peter Sutherland, letzter Direktor des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“ (Gatt), als im April 1994 in Marrakesch den erfolgreichen Abschluß der achtjährigen „Uruguay“-Runde des Gatt verkündete. Die zeitgleich mit dem Abschluß gegründete Welthandelsorganisation (WTO) werde „dafür sorgen, daß alle ihre 127 Mitgliedsstaaten von den vereinbarten Handelsliberalisierungen profitieren“.

Schon damals gab es erhebliche Zweifel an dieser Prognose. Kritiker des Gatt-Abkommens sagten voraus, die Staaten des afrikanischen Kontinents würden jährlich mindestens 2,6 Milliarden US-Dollar verlieren – vor allem, weil mit einem Anstieg der Importpreise für Nahrungsmittel zu rechnen sei infolge der im Gatt-Abkommen vereinbarten Reduzierung von Agrarsubventionen in den USA, der EU und Japan.

Inzwischen haben sich die Voraussagen der Skeptiker voll bestätigt. Anläßlich der ersten WTO- Ministerkonferenz in Singapur legten die britische Hilfsorganisation Christian Aid und andere Nichtregierungsorganisationen (NGO) Zahlen und Fakten auf den Tisch, die auch bei der WTO nicht bestritten werden. Danach haben die 48 am wenigsten entwickelten Staaten (LDC) – von der UNO definiert als Staaten mit einem Pro- Kopf-Einkommen von unter 320 US-Dollar jährlich – seit Marrakesch weitere Anteile am Welthandel eingebüßt. Ende 1995 lagen sie bei unter 0,4 Prozent, Anfang der neunziger Jahre waren es noch 0,6 Prozent gewesen und 1960 sogar noch 1,4 Prozent. „Das ist ein Beweis dafür, daß die ärmsten Länder im internationalen Handel weiter marginalisiert werden“, schimpfte dementsprechend Tofael Ahmed, der Handelsminister von Bangladesch. In den 48 ärmsten Staaten, von denen 42 in Afrika liegen, leben 570 Millionen Menschen, über zwölf Prozent der Weltbevölkerung.

30 der 48 ärmsten Länder gehören bislang der WTO an. Doch die Ausgleichshilfe für die erhöhten Nahrungsmittelpreise, die diesen Staaten in Marrakesch von den reicheren Nationen versprochen wurde, ist ausgeblieben. Und auch die Hoffnungen auf einen schnellen verbesserten Zugang zu den Märkten der reichen Industrieländer, mit der dieser Staaten nach Singapur kamen, wurden enttäuscht.

Die meisten Staaten der sogenannten Quad-Gruppe – das sind die 15 EU-Staaten, USA, Kanada und Japan – mochten sich zu entsprechenden Zusagen nicht verpflichten. Da half auch das Drängen Renato Ruggieros, des Sutherland Nachfolgers bei der WTO, nicht. Lediglich Großbritannien und Norwegen erklärten sich zur Marktöffnung bereit. Die für heute vorgesehene Abschlußerklärung der Ministerkonferenz wird deshalb nur eine unverbindliche und allgemein gehaltene Absichtserklärung zur Marktöffnung der nördlichen Industriestaaten enthalten.

Widerstand gegen einen Abbau aller Einfuhrzölle für Waren aus den LDC gab es allerdings auch von Ländern des Südens, die dieser ärmsten Kategorie nicht angehören. Nach einem Abbau der Einfuhrzölle könnte zum Beispiel Bangladesch seine Textilexporte und seinen Weltmarktanteil zu Ungunsten seiner asiatischen Konkurrenten steigern, fürchten Pakistan, Indien und Sri Lanka. Auch die Ökonomien der südostasiatischen Tiger haben zum ersten Mal seit Jahren mit weniger hohen Wachstumsraten zu kämpfen und reagieren daher entsprechend allergisch auf die drohende Konkurrenz der Ärmsten.

Der Konkurrenzdruck unter den Textilproduzenten des Südens wird noch verschärft, weil ihre Forderung nach Beschleunigung der Liberalisierung des Welttextilmarktes in Singapur von der Quad- Gruppe abgelehnt wurde. Damit bleibt es beim 1994 in Marrakesch vereinbarten phasenweisen Abbau von Zöllen und anderen Einfuhrbarrieren für Textilrohstoffe und -fertigwaren über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Christian Aid befürchtet, daß der Anteil der LDC am Welthandel noch weiter zurückgehen wird, wenn die reichen WTO-Staaten nicht durch einen umfassenden Schuldenerlaß, erhöhte Entwicklungshilfe und einen verstärkten Technologietransfer entgegensteuern.

Die Rahmenbedingungen für die LDC könnten sich noch weiter verschlechtern und ihre Rolle innerhalb der Welthandelsorganisation würde weiter marginalisiert, sollten die nördlichen Industriestaaten in Singapur das uneingeschränkte Recht auf Auslandsinvestitionen in jedem anderen WTO-Land in beliebiger Höhe durchsetzen. Hiergegen gibt es allerdings nach wie vor entschiedenen Widerstand auch von Staaten, die wie Malaysia, Indonesien, Indien und Singapur zu den Erfolgreicheren unter den rund 100 Entwicklungsländern in der WTO zählen.

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