Die Umweltsau durchs Dorf treiben: Die Oma ist viel cooler

Ein Kinderlied und eine Entschuldigung später fragt sich die abgehängte Landbevölkerung, was das nun wieder für ein Blödsinn war.

Eine ältere Frau mit Sonnenbrill zeigt Stinkefinger

Schöne Grüße auch an Tom Foto: photocase/estherm

Wenn bei Twitter und Facebook wieder einmal (Umwelt-)Säue durchs Dorf getrieben werden, ist es schön, genau dort zu sein: auf dem Dorf. Denn hier auf dem Land, da sind sich doch alle einig, leben einfache, ehrliche Leute. Wo’s Internet ist schlecht, das Leben ist echt.

Ich glaube, dass WDR-Intendant Tom Buhrow dachte, genau diese einfachen Leute zu adressieren und ihnen aus der Seele zu sprechen, als er sich für die WDR-Kinderchor-Version von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ (#Umweltsau, #Omagate, Sie wissen schon) „ohne Wenn und Aber“ entschuldigte.

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot meiner Eltern ausging, dass ich mich und meine Familie nach Weihnachten doch mal bei ihnen blicken lassen könnte, und so verfolgte ich die Umweltsau-Diskussion von der fernen nordfriesischen Tiefebene aus. Der Blick geht hier weit, die Windräder ragen majestätisch aus der Marsch, und da ward mir bewusst: 1.) Was da bei Twitter passiert, kriegt hier kein Schwein mit. 2.) Es interessiert die meisten auch nur so mittel (Merke: Shitstorms wegatmen). 3.) Meine Oma ist viel cooler als Tom Buhrow, Tom Buhrow, Tom Buhrow. Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau!

Gut, meine Oma ist vielleicht nicht cooler als Tom Buhrow. Meine Omas sind ja beide nicht mehr. Aber die Oma meiner Kinder, also meine Mutter, die saß mit am Frühstückstisch, als ich mich darüber ärgerte, dass ich in der vorangegangenen Nacht mindestens eine Stunde meines Lebens an Twitter und diese Umweltsau-Diskussion vergeudet hätte, anstatt sie sinnvoll zu verbringen: schlafend.

Frage meiner Mutter: „Was für eine Umweltsau-Diskussion?“ Ich fasse den Inhalt kurz zusammen. „Ja, stimmt doch alles“, sagt sie.

„Ob das inhaltlich stimmt oder nicht, ist gar nicht das Thema“, sage ich, „es geht darum, dass der Intendant sich für das Lied entschuldigt hat.“ „Bei wem?“„Na ja, den Omas. Und wohl auch den Opas.“ „Und warum?“ „Weil er wohl denkt, dass das Lied die Gefühle von Omas und Opas verletzt. Oder so.“

Reaktion meiner Mutter: Hahahahaha.

Für wie uncool, blöd und verkalkt hält Tom Buhrow die Omas in Deutschland eigentlich? Glaubt er tatsächlich, dass diese Frauen, die durch Kinder sowie deren Erziehung, Pubertät, Ausraster, Trauer, Glück, Emanzipation und Rebellion gestählt wurden, sich von singenden Grund­schü­le­r*in­nen gekränkt fühlten?!?

Ja, ich weiß, man soll nicht vom eigenen Umfeld auf die Allgemeinheit schließen, aber ich habe bisher noch keine Oma gefunden, die dieses Liedchen tatsächlich als beleidigend empfand; die nicht abstrahieren konnte, wofür die hier besungene Oma steht. Um einen anderen Twitter-Diskurs einzubringen: Den Omas, die ich kenne, ist eine 16-Jährige in einer Punk-Band weniger suspekt als ein 16-Jähriger in der Jungen Union. Die Omas, die ich kenne, sind tatsächlich viel cooler als Tom Buhrow. Das ist beruhigend. Und erschreckend.

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Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

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