Die Ukraine und die EU-Annäherung: Kiewer Spielchen
Die Entscheidung, ob Brüssel mit Kiew Ende November ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet, wird wohl vertagt. Unklare Signale kommen aus der Ukraine.
LWIW taz | Die EU-Außenminister hätten sich am Montag eigentlich definitiv darüber verständigen sollen, ob bei dem Gipfeltreffen mit den Staaten der Östlichen Partnerschaft am 28. und 29. November in Vilnius ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet werden soll. Doch diese Entscheidung wird wahrscheinlich noch einmal vertagt. Denn die ukrainische Position ist unklarer denn je. Zuletzt hatte Kiew immer mehr Zweifel aufkommen lassen, ob man in der ukrainischen Hauptstadt die EU-Annäherung tatsächlich noch will.
Nach der Eskalation des Handelskonflikts mit Russland im August schien Präsident Wiktor Janukowitsch zunächst den Kurs in Richtung Assoziierung eingeschlagen zu haben. Das ukrainische Fernsehen sendete plötzlich proeuropäische Nachrichten, die Vertreter der regierenden „Partei der Regionen“ überschlugen sich mit Argumenten für die EU-Integration. Das Parlament verabschiedete einige wichtige Gesetze.
Zuweilen produzierte die bürokratische Werbetrommel skurrile Bilder, etwa von Jugendlichen mit kurzgeschorenen Haaren und in Trainingsanzügen im Osten des Landes, die mit Transparenten wie „Unsere Zukunft ist Europa“ durch die Gegend zogen. Noch vor wenigen Monaten hatten ähnlich aussehende Typen immer wieder gegen die Opposition demonstriert und Journalisten mit Gewalt an deren Arbeit gehindert.
Heute ist die Rhetorik anders. Die Großindustriellen aus der Ostukraine verlangen eine Aufschiebung der Assoziierung, regierungsnahe Kommentatoren betonen die Gefahren. Die zentrale Botschaft der Abgeordneten aus dem Regierungslager lautet: „Wir wollen das Abkommen, aber nicht um jeden Preis.“
Im Fall Timoschenko ist keine Lösung in Sicht
Und dieser Preis beinhaltet drei Gesetze: über die Staatsanwaltschaft, über eine Änderungen des Wahlgesetzes und das „Timoschenko“-Gesetz. Vor allem bei der Frage, ob die zu sieben Jahren Haft verurteilte und schwer erkrankte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko zu einer medizinischen Behandlung ins Ausland reisen kann, ist keine Lösung in Sicht.
Für die EU, die das Timoschenko-Urteil als politisch motiviert betrachtet, hat der Fall eine große symbolische Bedeutung. Zahlreichen Versprechen von Präsident Janukowitsch, die „Causa Timoschenko“ zu lösen, sind jedoch keine Taten gefolgt. Letztendlich spielte er den Ball dem Parlament zu, das ein Gesetz über die medizinische Behandlung Verurteilter im Ausland verabschieden soll.
Doch in der ukrainischen Legislative gehen die Spielchen weiter. In der vergangenen Woche blockierte die Regierungsmehrheit sämtliche Versuche einer Kompromißvorlage. Beide politischen Lager schieben sich die Schuld gegenseitig zu. Ein weiteres Zeichen für ein Umschwenken Kiews dürfte sein, dass ebenfalls in der vergangenen Woche gegen Timoschenkos Anwalt Serhij Wlasenko ein Verfahren gegen Körperverletzung eröffnet wurde. Wlasenko soll 2009 seine damalige Ehefrau geschlagen haben, lautet die Anklage. Zunächst bleibt er gegen Kaution auf freiem Fuss, darf aber das Land nicht verlassen. Beobachter deuten dies als klares Signal gegen die EU.
Die Änderung der ukrainischen Position wird auf das letzte Treffen zwischen Janukowitsch und Russlands Präsident Wladimir Putin zurückgeführt. Über die Ergebnisse dieses Gesprächs am 9. November bewahren beide Seiten Stillschweigen. Der Tenor der Spekulationen ist aber, dass Janukowitsch von Moskau für den Verzicht auf die Assoziierung gewisse Zugeständnisse ausgehandelt hat
Die ukrainische Wochenzeitung Dzerkalo Tyschnja berichtet jedoch unter Berufung auf ihre Quellen, dass die Präsidenten sich auch diesmal nicht einigen konnten. Putin verlange angeblich für einen Nachlass beim Gaspreis und für die Unterstützung Janukowitschs die volle Integration der Ukraine in die von Russland geführte Zollunion. Dies sei aber für den ukrainischen Präsidenten inakzeptabel, der nur zu einer „Pause“ in den Beziehungen zur EU bereit wäre. Das Spiel um das Schicksal des Landes geht weiter.
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