Die Terrorattacken in Paris: Der Angriff auf Pop und Spiele
Wer die Populärkultur attackiert, verfolgt eine Strategie absoluter Eskalation. Zumeist ein klares Zeichen von Schwäche.
Die Reiter der Apokalypse haben wieder zugeschlagen. Doch anders als bei früheren Attentaten dürften sie sich dieses Mal verrechnet haben. So besonders blutrünstig sie am 13.November in Paris auftraten, in der Wahllosigkeit ihrer Ziele könnten sie sich gerade von denen endgültig isoliert haben, die sie für ihre Anschläge brauchen und eigentlich mobilisieren wollen.
Die Attentate im Januar auf Charlie Hebdo oder jüdische Einrichtungen galten noch besonderen, nicht nur in den Augen der Islamisten naheliegenden Zielen. Die Attentäter durften mit verbreiteten Ressentiments kalkulieren, auf die sie glaubten aufsetzen zu können. Hatten die Charlie-Hebdo-Zeichner nicht den Propheten beleidigt? Und streben „die“ Juden (mit Unterstützung der Amerikaner!!!) nicht nach Vorherrschaft im Nahen Osten und beleidigen damit fortwährend die stolze arabische Welt?
Man mag solch antiimperialistsche Verschwörungstheorien argumentativ leicht zurückweisen. Doch was leider zählt, ist, dass eine ganze Reihe von Menschen – und das nicht nur in Frankreich, linke wie rechte – derlei Legenden glauben und oft gebetsmühlenhaft wiederholen. Sie nehmen an dem aufgeklärten Bildungs- und Medienleben kaum teil. Und nicht nur die Extremeren unter ihnen stellen sich häufig in eine weltweite Opfermythologie.
Nach dieser werden persönlich erlebte Fehlschläge, aber auch tatsächlich erfahrene und vorhandene Diskriminierungen auf einen einzigen angeblichen Zusammenhang gebracht. Und so soll der imperiale „weiße“ Rassismus mit seinen westlichen Demokratien in seiner Gesamtheit an so ziemlich allem in der Welt schuld sein. Wenn es im Kleinen schlecht läuft – Schule, Freundin, Elternhaus, Beruf – genauso wie im Großen – Gaza, Syrien oder Libanon.
Spekulieren auf den Gegenrassismus
Attentate wie jene auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder das Geschäft für koschere Lebensmittel im Januar in Paris spekulierten in ihrer Wirkung dabei noch auf eine Art Gegenrassismus in Frankreich, also nicht nur auf die außenpolitische, globale Konfliktlage. Und wie Reaktionen in Frankreich im Januar zeigten, wurden sie auch von vielen so verstanden. Es sympathisierten spontan doch einige mit den Tätern, zumindest teilten sie deren Gefühlslage. Umgekehrt bekam auf der „weißen“ französischen Rechten Marine Le Pen weiteren Zulauf.
Die Attentäter des 13. November – und vor allem ihre Auftraggeber im Hintergrund – setzen nun aber offensichtlich erst gar nicht mehr wie früher auf solche Spaltungsprozesse in der französischen Gesellschaft. Im Kollektivwahn der Isolierten attackierten sie schließlich unterschiedslos Menschen aller Herkünfte und Schichten in Bars, Konzertsaal und Stadion. Sie wollten die Gesamtheit der offenen Gesellschaft treffen, mit größtmöglicher Opferzahl und symbolischer Wirkung schockieren.
Ginge es ihnen innenpolitisch noch um Frankreich selber, würden sie anders agieren und nicht Taten begehen, die dazu geeignet sind, die Nation über alle Köpfe hinweg zusammenzuschweißen. Im Stade de France oder im Konzertsaal Bataclan, in all den Bars und auf den Straßen können sich genauso auch gläubige Muslime unter den Opfern befinden.
Selbst das ist ihnen inzwischen gleichgültig. Ebenso, dass die Herkünfte der Nationalspieler Frankreichs oder Deutschlands sie in schon fast jeder Hinsicht widerlegen. Damit sind sie zumindest im europäischen Maßstab des Politischen im pathologischen Bereich, auch für viele, die sich in Teilen mit ihnen identifizierten. Purer Fanatismus kann niemals siegen.
Die irre Blindwütigkeit des IS
Es spricht einiges dafür, dass die Sendboten nach – oder der in Europa aktivierten Kämpfer nur noch der gegenwärtigen Nahost- Logik folgen, nicht mehr der europäischen. Und nach der nah-östlichen steckt der IS an vielen Fronten in Syrien wie im Irak in der Defensive. Und teilt nun wie ein verzweifeltes und verwundetes Tier in alle möglichen Richtungen aus.
Diese irre Blindwütigkeit könnte doch vielen von jenen die Augen öffnen, die bislang aus einem irgendwie gefühlten Abstammungs- und Gegenrassismus Sympathien für den Islamismus in Frankreich hegten. Wo Hunderte in den heiligen Krieg ziehen, gibt es ein Umfeld von Tausenden, die ähnlich denken, ohne deswegen gleich zur Tat zu schreiten.
Bislang fand die Entgrenzung der Gewalt bei den europäischen Dschihadisten in überwiegendem Maße in Richtung Syrien statt, nach Europa schien sie ihnen selbst nicht so recht zu passen.
Die Sprache der Anschläge vom 13.November entspricht nicht der französischen. Keine westliche Biografie kommt heute ohne Fußball, Pop, Bar- und Jugendkultur aus, ob in den Vorstädten oder Zentren der Metropolen. Aus dem Grauen könnte damit die Hoffnung erwachsen, zumindest im Inneren unserer Gesellschaften die Spaltungen zu überwinden.
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