Die Rolle Ankaras im Nahost-Konflikt: Aus Mangel an Alternativen
Die Türkei könnte die Vermittlerrolle Katars übernehmen, sollte das Emirat sich zurückziehen. Auch wenn es für Israel eine bittere Pille wäre.
W er die Umarmungen und Küsse gesehen hat, mit denen Recep Tayyip Erdoğan die Hamas-Chefs am Wochenende in Istanbul begrüßte, dem muss sich der Magen umgedreht haben. Hamas-Politbürochef Ismael Hanijeh und sein Amtsvorgänger Chaled Meschal sind gern gesehene Gäste bei dem türkischen Präsidenten. Das blutige Massaker vom 7. Oktober, das die Hamas zu verantworten hat, ändert für Erdoğan nichts.
Wenn überhaupt, ist aus Sicht des türkischen Präsidenten an dem Massaker nur Israel schuld, das jetzt im Gazastreifen „kein Gelände gewinnen dürfe“, wie er seinen Gästen gegenüber versicherte. Die enge Verbundenheit mit dem Feind ist bitter für die Regierung in Jerusalem, die noch wenige Wochen vor dem Hamas-Massaker auf eine weitere Annäherung setzte.
Regierungschef Benjamin Netanjahu und Erdoğan trafen am Rande der UN-Generalkonferenz in New York zusammen, planten intensivierte Handelsbeziehungen und Zusammenarbeit in den Bereichen Cybersicherheit, Energie und KI. Aktuell passiert das Gegenteil: Erst Anfang April erließ die Türkei neue Handelsbeschränkungen gegen Israel.
Sollte sich Katar als Vermittler zwischen Israel und der Hamas zurückziehen, was das Land Berichten zufolge plant, wird Israel die Türkei als Ersatz akzeptieren müssen. Genau darum geht es dem türkischen Präsidenten, wenn er die politische Spitze der Hamas so überschwänglich in seinem Land willkommen heißt: Er will auch in diesem Konflikt als Vermittler eine Rolle spielen. Und darum geht es den palästinensischen Islamisten, die es Katar zu lange zu schwer gemacht haben bei den Verhandlungen, und denen nun offenbar der Rausschmiss aus dem Emirat droht.
Es braucht für Verhandlungen um einen Waffenstillstand und die Befreiung der noch immer im Gazastreifen verharrenden Geiseln einen Vermittler, der das Vertrauen der Hamas genießt. Weder Ägypten noch Saudi-Arabien können diese Rolle übernehmen. Netanjahu wird wohl oder übel in den sauren Apfel beißen müssen, wenn ihm an Verhandlungen gelegen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren