Die Regierwilligen: Pathos und Programmlyrik

Parteichef Sigmar Gabriel wirbt an der Bremer Basis um die Zustimmung zum schwarz-roten Koalitionsvertrag. Der offene Widerstand ist dort aber gering.

Macht auf wuchtig, selbst, wenn es kaum Widerstand gibt: Genosse Nr. 1 im Bremer Schlachthof. Bild: dpa

BREMEN taz | Am Ende sind es wenige, die offen gegen den Parteichef Sigmar Gabriel opponieren. „Eine Zumutung“ sei die große Koalition, sagt Gerd Markus aus der Gartenstadt Vahr. Und dass die Mehrheit im Bundestag eine links von der CDU sei. Doch der Applaus der GenossInnen ist schwach. Markus hätte lieber Rot-Rot-Grün gehabt. Er findet es „richtig schwierig“, dass seine SPD sich nun zum „Steigbügelhalter“ der CDU macht. „Wir können doch nicht so irre sein, das abzulehnen“, hatte Gabriel zuvor gesagt.

Mehrere Hundert Parteimitglieder waren am Freitagabend in die Kesselhalle des Schlachthofs gekommen. Und wo sonst Party ist, warb Gabriel drei Stunden lang an der Basis um die Zustimmung zum schwarz-roten Koalitionsvertrag. Mit viel Pathos, mit großen Worten. „Wir können uns das leisten, den Vertrag abzulehnen“, sagt Gabriel. „Aber die Menschen, für die wir das machen – die können sich das nicht leisten.“ Also die Floristin, die für fünf Euro die Stunde arbeiten gehen muss. Die nun Mindestlohn bekommen soll. Die Frau mit der kleinen Rente, eine „treue Wählerin“, die Gabriel nun schreibt, von einem „Freudentag“ spricht. Die Abstimmung über den Koalitionsvertrag, sagt Gabriel, ist eine „über das Leben und die Perspektive der kleinen Leute“. Und „eine Entscheidung über die ganze deutsche Sozialdemokratie“.

„Brillant“ und „einschüchternd“ habe er geredet, sagt Renate Meyer-Braun, eine pensionierte Professorin, die viele Jahre Frauenbeauftragte an der Hochschule war. „Man darf ja kaum noch was Kritisches sagen.“ Beim geplanten Mindestlohn gebe es „zu viele Schlupflöcher“, sagt sie dann doch, und, dort, wo es um die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern geht, zu viel „vage Programmlyrik“. Auch, dass Gabriel die Idee der Steuererhöhungen für Besserverdienende „kampflos“ aufgegeben habe, stößt Meyer-Braun auf. Nicht nur ihr.

Ja, sagt Gabriel, die Steuerpolitik bleibe unverändert. Ja, Homosexuellen werde weiterhin das Adoptionsrecht versagt. Ja, es sei ungerecht, wenn jenen, die das Land mit aufgebaut hätten, auch weiterhin keine doppelte Staatsbürgerschaft bekämen. Sondern nur ihre Kinder, wenn sie hier geboren, aufgewachsen sind. „Aber es wird nicht dadurch besser, dass die sie auch nicht kriegen.“

Zwei Jusos monieren, dass ein vom Parteikonvent vorab für „unverzichtbar“ erklärter Punkt zur „sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen“ nun doch nicht im Koalitionsvertrag auftaucht. Ein „Unterpunkt“ aus einem umfänglichen 10-Punkte-Papier, sagt Gabriel, dazu der „einzige“, der unerfüllt sei. Immer wieder weist er darauf hin, dass die Gewerkschaften für den Koalitionsvertrag sind.

Die örtlichen Parteihonoratioren halten sich zurück. Die Basis fragt, Gabriel antwortet. „Nie wieder“, hatte der eingangs gesagt, wolle die SPD Politik „gegen ihr eigenes Selbstverständnis“ machen. So wie sie das in früheren Regierungen früher tat. „Das ist der Ausgangspunkt dieser Debatte“, sagt Gabriel. Ja, die Ängste, dass es dazu kommen könnte, die seien berechtigt.

Und doch gibt es aus Gabriels Sicht keine Alternative zur großen Koalition. Rot-Rot-Grün wäre „nach maximal drei Monaten im Eimer“, glaubt Gabriel – weil es zu viele „SPD-Hasser“ und „Sektierer“ im Westen der in sich gespaltenen Linkspartei gebe. Und eine Minderheitsregierung werde unweigerlich zu Neuwahlen führen – für die in der SPD-Spitze keiner verantwortlich sein will. Sie wollen mitregieren, auf jeden Fall.

Nun muss die Basis bis zum 12. Dezember darüber abstimmen.

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