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■ Die Pharmaindustrie will uns die Vitamine verbieten!Operation codex alimentarius

Vierundvierzig Jahre lang hat er auf seinen großen Augenblick hingearbeitet, nun ist er gekommen: Matthias Rath, der Vitamingott aus Stuttgart, hat seinen Triumphzug am 13. September in Frankfurt begonnen. Für mickrige 15 Mark Eintritt konnten Bürgerinnen und Bürger die frohe Botschaft vernehmen, „die Wahrheit, die uns so lange verwehrt wurde“. Dann folgten Chemnitz, Dresden und schließlich Berlin.

Der Applaus war groß, die Verwirrung noch größer. Denn Rath hat sie aufgedeckt, die große Verschwörung der Pharmakonzerne, Bayer, Hoechst und BASF, und zwar schon 1990. Damals, erklärt Dr. Rath, der sich bescheiden als „Nachfolger des zweifachen Nobelpreisträgers Linus Pauling bezeichnet“, habe ER entdeckt, daß „Herzinfarkt und Schlaganfall keine echten Krankheiten sind“. Sie seien vielmehr – ähnlich wie die Seemannskrankheit Skorbut – das Ergebnis langjährigen Vitaminmangels und dadurch verhinderbar. Das Publikum im Berliner ICC-Gebäude läßt sich begeistert mitreißen.

„Doch das Pharmakartell“, fährt Rath fort, „ist am Fortbestand dieser Krankheiten interessiert.“ Aus den etwa 400 schüchternen Zuhörern wird allmählich ein tosender Haufen. Das Chaos nutzend, gesteht Rath nun jedoch in schwermütigem Ton eine persönliche Niederlage ein: „Ich habe lange gekämpft. Doch nun, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, drohe ich endgültig zu scheitern.“ Unter dem Namen „codex alimentarius“ wollten sich die Pharmakonzerne dieser Tage in Berlin treffen! Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen solle „einer der folgenschwersten Beschlüsse der Menschheitsgeschichte“ getroffen werden: Die Vitaminfreiheit „wollen sie verbieten!“ Von kaltblütigem Profitwahn getrieben, setze das „kriminelle Pharmakartell“ das Leben von Millionen aufs Spiel. Die Verschwörung sei „total“, Finanzen, Wissenschaft, Medien und Politik, „alle sind sie verwickelt, alle wissen...“

Nun kann ihn nichts mehr aufhalten: „Meine Damen und Herren...“, beginnt Rath und läßt die Spannung ansteigen, ehe er fortfährt: „Der Hauptverantwortliche hat Namen und Adresse, sie kennen ihn alle. Es ist Helmut Kohl, der Komplize, der Lakai der Lakaien.“ Sein Wahlkreis Ludwigshafen sei schließlich „die Firmenzentrale des Pharma-Giganten BASF“.

Hier werden erstmals kritische Stimmen laut. Denn ihren Helmut als den „Obermörder aller Mörder“ zu bezeichnen, das geht vielen doch zu weit. Murmeln geht durch die Runde, erste Leute verlassen den Raum. Die Mehrheit aber bleibt. Und Dr. Rath, der „große Prophet“, legt noch eine Stufe zu: Rexdrodt, Kanther, Gesundheitsminister Seehofer, sie alle seien mitschuldig an „Verbrechen gegen die Menschheit“.

Die darauffolgende halbstündige Verlesung der Anklageliste wirkt schon etwas langweilig, der Höhepunkt ist überschritten. Der Mann läßt sich aber nicht aus der Ruhe bringen, er fordert gar ein „zweites Nürnberger Tribunal“, um über diese „Völkermörder“ zu richten, die „am Tod von Millionen verantwortlich sind“.

Als Rath nach zweistündiger Krafttour zum Endspurt ansetzt, haben viele den Saal bereits verlassen. Unbeirrt ruft der einsame Kämpfer zum „gemeinsamen Kampf“ auf gegen das „Pharmakartell und seine Komplizen“. Beiläufig erwähnt er noch, das „werte Publikum“ könne im Foyer seine „hochwertigen Naturprodukte“ erwerben, denn: „Auch Busineßmuß sein.“

Am 3. Oktober spricht Dr. Matthias Rath im Bürgersaal in Viernheim. Letzte Gelegenheit, die volle Wahrheit über das Vitaminverbot zu erfahren, besteht tags darauf in Mannheim. Stefano Recchia

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