Die Ode an den Gutschein: Der letzte Joker
Weil die Läden gerade geschlossen sind, könnten Coupons diese Weihnachten ihr Revival haben. Das (er-)spart unnötigen Kram, Energie und Müll.
„Laden zu, Affe tot“: Für den alten Affen Weihnachtsgeschäft trifft der Lieblingssatz meiner seligen Großmutter voll ins Schwarze. Als am 16. Dezember im Anschluss an ein zwei Tage tobendes Double Feature aus Konsum- und Infektionsarmageddon die meisten Läden in den Lockdown gingen, hatten die Leute noch längst nicht alle Geschenke für ihre „Lieben“ beisammen. Damit dürfte der Geschenkgutschein in diesem Jahr sein großes Revival erleben. Denn wo es keine Geschenke gibt, muss es wenigstens Versprechen darauf geben. Edeka hat bereits vorgesorgt: Die Warengutscheine der Supermarktkette sind schon ab dem Wert von einem Euro zu haben und können auch noch am Mittag des Heiligabends erworben werden.
Doch auch andere arbeiten an ihrer Last-Minute-Verfügbarkeit: Im Internet zum Selbstausdrucken gibt es Gutscheine für praktisch alles: Autowaschanlagen, Apple Store, OBI oder Tchibo.
Aber war der Geschenkgutschein überhaupt jemals tot? Als letzter Joker für Verspätete, Faule, Lieb- und Einfallslose boomte der selbst gebastelte Anrechtsschein doch schon immer. Mit einem „Gut Schein für 1 mal aufreum“ lügen sich Jahr für Jahr bereits die kleinen Kinder durch. Und das ist auch gut so.
Fallschirmsprung, Tanzkurs und Tantra-Dinner
Man soll Kinder nicht zum Schenken zwingen. Unsereins musste früher noch für die Verwandten „Hinterglasmalereien“ und „Laubsägearbeiten“ anfertigen, deren monströse Ergebnisse spätestens am Dreikönigstag in den Müll wanderten.
Dann schon lieber einen Coupon. Yogastunden, Thermenbesuche, Massagetermine, Wellnesswochenenden – alles, was sich um die Dienstleistung am Körper dreht, funktioniert seit jeher nur als Gutschein. Gern auch mal zu zweit, das gaukelt die Bereitschaft zur gemeinsamen Unternehmung vor; das riecht nach zu Füßen gelegter Quality Time. Für den Schenker beinhaltet ein solcher Goodwill-Fetzen ja immer auch die Chance, dass er nicht eingelöst wird.
Mit etwas Fortune ist er irgendwann vergessen, verloren, verfallen oder gar verwittert. Und nicht selten wären die Beschenkten von der Zwangsbeglückung eh lieber verschont geblieben: Fallschirmsprung, Tanzkurs, Tantradinner – ja, ist der Weihnachtsmann denn völlig irre geworden?
Zu dieser Abwehrhaltung der Empfänger habe ich noch eine eigene Anekdote beizusteuern. Die Leserin wird sich ohnehin längst gefragt haben: „Der famose Meister Hannemann, dieser berückende Wortjongleur: Was hat der denn eigentlich alles so erlebt? Das würde uns jetzt aber mal brennend interessieren.“
Horror, Spannung und Kopfzerbrechen mit Escape Games
Gemach. Vor Jahren also schenkten wir Freunden einmal einen Gutschein für den Besuch eines Live Escape Games. Dabei muss man sich als Gruppe von vier Personen durch verschiedene Rätselaufgaben beißen, um sich aus einem sogenannten Escape Room zu befreien. Ein bisschen Horror, Spannung und Kopfzerbrechen. Alles in allem ein großer Spaß. Dachten wir.
Doch die Terminfindung war wie verhext. Mal waren die Kinder unserer Freunde krank, mal die Eltern. Und wenn alle Stricke rissen, waren sie selbst malade. Mit der Zeit konnte man fast den Eindruck gewinnen, sie wollten da gar nicht hin. Das Ganze geriet zum reinen Running Gag. Ungefähr einmal im Jahr fragten wir beim Veranstalter nach, ob der Gutschein denn noch gelte.
War immerhin nicht billig gewesen. Galt aber weiterhin und gilt immer noch. Zum Glück brach dann die Pandemie aus, und gewährte dem peinlichen Reigen eine lange Pause. Solche Unterhaltungsformate werden eh gerade obsolet: Schließlich ist unser aller Leben nun zu einer Art Live Escape Game geworden: „In den Fängen des verrückten Wissenschaftlers.“
Bloß kein Danaergeschenk!
Vielleicht sollte man auch nicht immer verschenken, was man selbst gerne hätte. So ein gut gemeintes Präsent wird sonst schnell zum Danaergeschenk. Im Gegensatz zu einem Buch oder einem Kleidungsstück kann man einen Aktivitätengutschein noch nicht mal vernünftig umtauschen.
Apropos Danaergeschenk: Hätten die Griechen den Trojanern nur einen Gutschein für ein hölzernes Pferd vor's Tor gelegt, wäre Troja womöglich heute noch ein unabhängiger Staat mit eigenen Abgasskandalen und Ordnungsamtsmitarbeiterinnenuniformmützchen.
Und auch der wackere Odysseus wäre nicht jahrelang kläglich an einem Live Escape Secret namens Mittelmeer gescheitert. Im Grunde gibt es nur Vorteile. Unliebsame Gutscheine, die vom Beschenkten niemals eingelöst werden, verbrauchen keine Energie und erzeugen keinen Müll. Das ist ein Segen für die Umwelt und das Klima. Leute, schenkt mehr Gutscheine!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden