Die Nacht der Anschläge in Paris: Die andere Weltstadt
Die Rollläden gehen runter. Was geschieht dort draußen? Eindrücke aus der Stadt der Avantgarden, aus der an diesem Abend eine andere wurde.
Es gibt Bilder, denen man unmittelbar ansieht, dass sie sich tief ins Gedächtnis einsenken werden. So das Bild des langsam herabgehenden eisernen Rollladens an der Fensterfront des Bistros, in dem wir an diesem Abend den Geburtstag eines Freundes feiern.
Nahezu alle Gäste sind seit einiger Zeit zweihändig beschäftigt: in der einen Hand halten sie das Weinglas, in der anderen ihr Handy. Schreckensnachrichten lesend. Die heran-twitternden Informationen haben den Patron schließlich dazu veranlasst, den schützenden Rollladen herabfahren zu lassen: wenige Straßenzüge weiter wurden Kalaschnikow-Salven in ein Restaurant gefeuert.
Einige Gäste tanzen weiter. Aber die Epoche hat gewechselt; das Bistro, trotz seiner modernen Barhocker, ist in die Zone einer düsteren Vergangenheit geraten. Die Welt unserer Großeltern, die inmitten einer guteingerichteten Kulturwelt den Einbruch von Zerstörung und gewaltsamem Sterben erlebt hatten, tut sich draußen auf.
Paris gehört heute Nacht zu einer anderen Kategorie Weltstadt. Es ist auf einmal verbunden mit Bagdad, Beirut und all den Metropolen, in denen urbane Dichte nicht nur die findigen Agenten der Verlockung zum Konsum anzieht, sondern auch Attentäter, die Urbanität als Multiplikator des Grauens nutzbar machen wollen.
Prähistorische Grotte
Unerträglich ist nicht nur das Wissen um die vielen Opfer, die einige hundert Meter weiter gestorben sind. Schlimm ist auch das Gefühl, dass also doch die unendliche Wiederkehr des Gleichen wahr ist. Dass der Fortschritt, auch wenn er hurtig voranzuschreiten schien, am Ende nicht schneller war als die Barbarei. Ausgerechnet Paris - die Stadt immer neuer Avantgarden - ist heute Nacht der Ort der Wiederkehr uralter Allgegenwärtigkeit von Gefahr geworden.
Das Bistro, mit seinem abschirmenden Metallrollladen, hat jetzt etwas von einer prähistorischen Grotte, die nur unzulänglich vor einer primitiven Angst vor dem Draußen schützt. Wir bestellen weitere Gläser Wein. Aber wir fühlen es: Die Attentäter haben nicht nur ein entsetzliches Massaker angerichtet. Unser Lebensstil des Ausgehens, Palaverns, Flirtens, Trinkens ist von nun an im Visier.
Auf dem Nachhauseweg bewege ich mich eiliger als sonst, unsicher um mich blickend. Ich weiß: Einige hundert Meter weiter sind Blutlachen auf den Bürgersteig. Mit verzweifelter Wut frage ich mich: Was nur wird aus dieser Metropole werden, auf deren Hauswände man vor einigen Jahrzehnten hoffnungsvoll und poetisch schrieb: Sous les pavés, la plage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!