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Die Malerei von Simin JalilianMit einem feinen Nerv für politische Stimmungen

Simin Jalilian kam 2016 aus dem Iran nach Deutschland. Ihre expressive Malerei zeigt die Beobachtungen einer zwischen Integration und Abschiebung.

Simin Jalilian: „The Wow effect“, 2024, Öl auf Leinwand (Ausschnitt) Foto: Courtesy die Künstlerin

Sie malte im Iran vor allem Frauen und erreichte damit schnell die Grenzen dessen, was im Mullah-Regime öffentlich zeigbar ist. Und nach fast zehn Jahren in Deutschland hat die Künstlerin Simin Jalilian einen bildlichen Scharfsinn für die hiesige Gesellschaft entwickelt. Mit ihren ausdrucksstarken, figurativen Malereien – gern in dreckigen, erdigen Farben – greift sie Momente aus den Medien oder alltägliche Beobachtungen auf und zeigt dabei einen feinen Nerv für politische Stimmungen.

Vier skurrile Figuren mit 3-D-Brillen sitzen in knallroten Kinosesseln auf dem Bild mit dem Titel „The Wow Effect“. In groben, zackigen Pinselstrichen, deren dick aufgetragene, fast schon wie ein abstraktes Ornament wirkende Ölfarbe aber Konturen und Kontraste ziemlich exakt wiedergibt, lässt Jalilian sie derart gebannt auf die Kino­leinwand starren, dass ihnen der Strohhalm von den Trinkbechern aus den geöffneten Mündern fällt. „Es sind Menschen, die sich von der Leinwand euphorisieren lassen, aber die Realität nicht sehen“, sagt Jalilian der taz.

Simin Jalilian: „Integration“, 2025, Öl auf Leinwand Foto: Courtesy die Künstlerin

„L’art pour l’art trifft auf politische Kunst“, schreibt die Kunstwissenschaftlerin Larissa Kikol zu Jalilians Malerei. Es ist eine expressive Malerei. Unverkennbar orientiert sich Jalilian, die 1989 in Teheran geboren wurde, an einem Stil der „Neuen Wilden“. Die waren ihr schon im Iran auf der Kunstakademie ein Vorbild: Martin Kippenberger, Jörg Immendorff.

Bei Werner Büttner, einem ihrer prominenten Vertreter, studierte sie dann in Hamburg an der Kunsthochschule. Simin Jalilian erhielt seitdem viele Auszeichnungen, die Kunsthalle Hamburg hat sie in ihre Sammlung aufgenommen. Solch ein Erfolg sichert ihr vorab auch den Aufenthaltsstatus in Deutschland, nach vielen Jahren der Unsicherheit, wie sie erzählt.

Simin Jalilian: „Bitte nicht abschieben“, 2025, Öl auf Leinwand Foto: Courtesy die Künstlerin

Aber ihre ungestüme, häufig humorvolle Malerei ist immer auch von einem Gefühl der Melancholie und der Furcht durchzogen, davon, dass ihr Leben als Hinzugekommene in Deutschland gar nicht so sicher ist, sie immer auch in einem Schwebezustand ist. „Integration“, mit diesem Begriff, der nach Merkels „Wir schaffen das“ so viel beschworen wurde, mittlerweile aber immer weniger zu hören ist, betitelt sie ein ungewöhnliches Selbstporträt.

Flüchtlingssommer 2015

Zehn Jahre Flüchtlingssommer 2015: Die großen Fragen von damals sind die großen Fragen von heute – ganz egal, ob es um Grenzkontrollen, Integration oder die AfD geht. Die taz sucht in einem Sonderprojekt Antworten.

Darauf versucht sie, mit dem Feuerzeug eine Bierflasche zu öffnen. Wenn sie das schafft, sei sie integriert, soll eine Kommilitonin in Hamburg gefrotzelt haben. Fast schon verbissen arbeitet sich die Porträtierte am Flaschenhals ab, derweil verschwimmt der Boden unter ihr, braunrote Rinnsale durchspülen ihn.

Simin Jalilian: „Free up storage space“ von 2023, Öl auf Leinwand Foto: Courtesy die Künstlerin

Kurze Zeit später malt sie sich, von Sicherheitskräften mit Maschinengewehren umringt, vor einem Abschiebeflugzeug. „Ich habe Angst. Das Bild zeigt meine dunklen Tagträume“, sagt Jalilian dazu.

Dass auch im Exil die Erinnerungen aus der Heimat bleiben­, zeigt ihr Bild mit dem zynischen Titel „Free up storage space“. Gemalt in einem drastischen Stil, der an einen 20er Jahre-Expressionismus denken lässt, drängen darauf Wärter neue Insassen in ein vollkommen überfülltes Iraner Gefängnis, die Gesichter verblassen in der Anonymität der Menschenmenge.

Eine Helferin und ein Geflüchteter im Sommer 2015 beim Berliner Lageso
Foto: dpa
taz Texte aus dem Jahr 2015 über den Flüchtlingsommer

Im Sommer waren die Geflüchteten Thema an vielen Stellen in der taz. Hier eine kleine Auswahl von Texten, die heute noch eindrucksvoll zu lesen sind.

Von Aleppo über Izmir nach Bad Langensalza

Die Flucht aus Syrien bis nach Deutschland dauert für die meisten mehrere Monate. Johannes Gernert und Charlotte Stiévenard haben im März 2015 für die taz den Weg von drei Flüchtenden nachgezeichnet.

Ein Tag bei den Geflüchteten am Lageso in BerlinIm August 2015 waren tausende Geflüchtete vor dem Lageso, dem für die Registrierung zuständigen Landesamt in Berlin gestrandet. Die Stadt bekam es nicht hin, sie zu versorgen. Ohne die Freiwilligen der Initiative „Moabit hilft“ lief nichts. taz-Redakteur Gereon Asmuth schrieb damals über einen Tag als Helfer, über den Kampf der Menschen ums Essen und darüber, wie Hel­fe­r:in­nen sich noch spät am Abend mit einem Flüchtlingstreck durch die Stadt auf den Weg zu einer Unterkunft machten.

Rassistische Ausschreitungen in Heidenau

Nicht überall im Land war die Stimmung pro Geflüchtete. In Heidenau gibt es tagelang Auschreitungen. Ende August 2015 war taz-Reporter Tobias Schulze vor Ort. Das war eine gruselige Erfahrung und beim Lesen der Zitate aus seinem Text schüttelt es ihn wieder. Neben all dem Rührenden, das in diesem Sommer passiert ist, war eben auch alles Schlechte schon angelegt. Hier sein Bericht „In Heidenau versagt das Bürgertum“.

Eine Woche bei den Flüchtenden am Bahnhof von Budapest

Anfang September strandeten Tausende Flüchtende am Bahnhof der ungarischen Hauptstadt, weil sie von dort nicht weitergelassen wurde. taz-Reporter Martin Kaul war eine Woche vor Ort und begleitete schließlich die Flüchtenden erst zu Fuß, dann mit dem ersten bereitgestellten Bus zur Grenze nach Österreich. Hier hat er seine sehr persönlichge Bilanz der Woche aufgeschrieben.

Illegale Helfer, die Flüchtende mit dem Auto nach Deutschland bringen

Auch Mitte September 2015 sind die Grenzen alles andere als offen. Aktivisten aus Deutschland machen sich immer wieder auf dem Weg, um mit ihren PKW Flüchtenden ins Land zu bringen. Martin Kaul hat aufgeschrieben, was sie bewegt.

Die Schriftstellerin Samar Yazbek über die Lage in Syrien

Wie war eigentlich die Lage in Syrien? Was hat die Menschen zur Flucht getrieben? Die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek ging für ihr Buch „Die gestohlene Revolution“ in die Hochburgen des Widerstands gegen Assad. taz-Kulturredakteur Andreas Fanizadeh hat sie im Oktober 2015 interviewt.

Rafik Schami zur Situation in Syrien

Ein weiteres Interview mit dem Schriftsteller Rafik Schami über das Morden in seinem Land und die Chancen der Opposition, zeigt, wie drückend die Lage im Land schon lange vor 2015 war. Es stammt aus dem Jahr 2011.

Aus der Erinnerung zu malen und nicht nach Fotos, das hat Simin Jalilian im Iran gelernt, als sie sich privat einen Aktmalkurs organisierte, weil es offiziell nicht erlaubt war. Sie weiß sich Beobachtungen gut einzuprägen.

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